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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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des rechten Flügels in der Partei, der Revolutionäre oder der Reformer, zu. Daß der Kapitalismus
     sich an neue Konstellationen anpassen und strukturell wandeln könne, also viel langsamer als ursprünglich angenommen seinem
     Untergang zutrieb, hielt Rosa Luxemburg wie viele ihrer Zeitgenossen, die sich als Marxisten verstanden, für unwahrscheinlich.
    Bernstein stellte vor allem die Krisentheorie und damit die Marxsche Prognose über den Entwicklungsgang der kapitalistischen
     Gesellschaft in Frage. Er behauptete, die kapitalistische Wirtschaft könne durch die Elastizität des modernen Kreditwesens,
     die Vervollkommnung des Verkehrs und die Ausbreitung der Unternehmerorganisationen ihre Produktion so auf die Marktlage abstimmen,
     daß die Krise immer unwahrscheinlicher werde. Rosa Luxemburg entgegnete, unter kapitalistischen Bedingungen sei die Krise
     die einzig mögliche Form, den Widerspruch »zwischen der unbeschränkten Entwicklungsfähigkeit der Produktivkräfte und den engen
     Schranken der Verwertung« 141 periodisch zu lösen. Weder der Kredit noch die Unternehmerorganisationen könnten den Widerspruch zwischen der Expansionsfähigkeit
     der Produktion und der beschränkten Konsumtionsfähigkeit des Marktes aufheben, sie modifizierten lediglich seine Bewegung,
     lösten ihn nur partiell, um ihn auf höherer Ebene im Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen kapitalistischen Staaten um die
     Verteilung und die Erschließung des Weltmarktes zu reproduzieren. Trotz neuer Erscheinungen im kapitalistischen Wirtschaftsgefüge,
     auf die Bernstein mit Recht aufmerksam mache, verschwinde die Krise als Erscheinungsform der Produktionsanarchie in der kapitalistischen
     Gesellschaft nicht, sie zeige nach wie vor die Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus an, und folglich bleibe auch
     die marxistische Krisentheorie weiterhin gültig.
    |125| Rosa Luxemburg verwertete Erkenntnisse über neue strukturelle Erscheinungsformen und Entwicklungstendenzen des Kapitalismus,
     auf die Friedrich Engels in seiner Ergänzung und seinem Nachtrag zum dritten Band des »Kapitals« von Karl Marx hingewiesen
     hatte. Im Anwachsen der Produktionskonzentration durch Aktiengesellschaften, die zur Monopolbildung führt, im Entstehen einer
     Finanzoligarchie, im Kapitalexport, im Steigen der Zahl der Rentiers und in der Ungleichmäßigkeit der Entwicklung des Kapitalismus
     hatte Friedrich Engels neue Entwicklungstendenzen gesehen. Rosa Luxemburg hob vor allem die Kartelle, die Aktiengesellschaften
     und die Unternehmerverbände heraus. In ihrer Entwicklung erkenne sie aber keine Abschwächung des Widerspruchs zwischen Kapital
     und Arbeit, im Gegenteil, sie brächten ihn zur Reife, »indem sie der Arbeiterschaft die Übermacht des organisierten Kapitals
     entgegenstellen und so den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit in die schärfste Form potenzieren« 142 .
    Anknüpfend an den Gedanken von Karl Marx, daß die Vulgärökonomie nichts weiter tue, »als die Vorstellungen der in den bürgerlichen
     Produktionsverhältnissen befangenen Agenten dieser Produktion doktrinär zu verdolmetschen, zu systematisieren und zu apologetisieren« 143 , zeigte Rosa Luxemburg, daß sich in Bernsteins Interpretation bestimmter ökonomischer Erscheinungen des Kapitalismus der
     »Standpunkt des
einzelnen
Kapitalisten« 144 widerspiegele. Wenn Bernstein wie die Vulgärökonomen die einzelnen ökonomischen Erscheinungen aus ihrem Zusammenhang mit
     dem ganzen kapitalistischen Wirtschaftssystem herauslöse, müsse er notwendigerweise in die Apologetik der bestehenden Zustände
     verfallen. Bernstein wolle die sich verschärfenden Widersprüche nicht durch den Klassenkampf überwinden, sondern suche in
     den »kapitalistischen Erscheinungen selbst die Gegengifte gegen die kapitalistischen Übel« 145 . Seine ökonomischen Auffassungen veranlaßten ihn folglich, den politischen Kampf für die Beseitigung des Kapitalismus aufzugeben.
     Der von Bernstein verkündete Sozialismus sei infolgedessen keine Kampfbewegung, die das Kapitalverhältnis aufheben will, sondern
     eine kleinbürgerliche Reformbewegung, die nur die schlechten Seiten der Herrschaft des Kapitals zu beseitigen gedenkt. Damit
     war zugleich |126| das Verhältnis zum bürgerlichen Staat und zur bürgerlichen Demokratie aufgeworfen.
    Bernstein interpretiere die sozialistische Umwälzung als einen unendlichen Prozeß sozialer Reformen innerhalb der bürgerlich-parlamentarischen
    

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