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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annelies Laschitza
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›Zentralkomitees‹.« 157 Auch die folgende Passage spiegelte ihr Anliegen: »Die Vereinigung der großen Volksmasse mit einem über die ganze bestehende
     Ordnung hinausgehenden Ziele, des alltäglichen Kampfes mit der revolutionären Umwälzung, das ist der dialektische Widerspruch
     der sozialdemokratischen Bewegung, die sich auch folgerichtig auf dem ganzen Entwicklungsgang zwischen den beiden Klippen:
     zwischen dem Preisgeben des Massencharakters und dem Aufgeben des Endziels, zwischen dem Rückfall in die Sekte und dem Umfall
     in bürgerliche Reformbewegung, vorwärtsarbeiten muß.« 158
    Rosa Luxemburg hat ihre Ansichten in einem Federzug niedergeschrieben. In der Polemik bediente sie sich wie so oft eines bissigen
     Tons und einer drastischen Sprache.
    Lenin fühlte sich gänzlich mißverstanden und war über Rosa Luxemburg und diejenigen, die sie gegen ihn aufgebracht hatten,
     heftig erbost. Zornig schrieb er im September 1904 seine nicht minder scharfe Erwiderung – erneut unter dem Titel »Ein Schritt
     vorwärts, zwei Schritte zurück«, mit dem Zusatz »Eine Antwort N. Lenins an Rosa Luxemburg« 159 . Er sandte das Manuskript in deutscher Sprache an Karl Kautsky, der es jedoch in der »Neuen Zeit« nicht abdruckte.
    In seiner Replik kritisierte Lenin, daß Rosa Luxemburg die Thesen und Beweise seines Buches vom Mai 1904 nicht exakt wiedergebe
     und zudem den II. Parteitag der SDAPR völlig ignoriere. Dieser habe »einerseits mit der formellen Vereinigung der Partei,
     andererseits mit der Spaltung in eine ›Mehrheit‹ und eine ›Minderheit‹« 160 geendet. Er verwahrte sich gegen den Vorwurf, ein besonderes Organisationssystem begründet zu haben. Ganz im Gegenteil habe
     er »die elementaren Grundsätze eines jeden Systems einer jeden nur denkbaren Parteiorganisation« 161 verteidigt.
    Rosa Luxemburg sei in ihrer Darstellung von einseitigen Informationen oder entstellten Tatsachen ausgegangen, habe seine Entwürfe
     mit Eingaben der Statutenkommission und Beschlüssen durcheinandergebracht und somit seine Auffassungen |203| mit denen seiner Gegner vermischt. Hätte Rosa Luxemburg die Resolutionen der vielen Lokalkomitees angesehen, hätte sie begriffen,
     »daß der Streit bei uns hauptsächlich darum geht, ob das Zentralkomitee und das Zentralorgan die Richtung der Parteitagsmehrheit
     vertreten sollen oder nicht« 162 . Auch er wolle keinen Kadavergehorsam. Es sei aber auch nicht einzusehen, daß sich die Mehrheit der Minderheit fügen solle,
     wenn letztere plötzlich die zentralen Organe beherrsche. Niemals und nirgends habe er einen »Unsinn der Art gesagt, daß das
     Parteistatut eine Waffe ›an sich‹ sei« 163 .
    Anschließend skizzierte Lenin seine eigene Ansicht des von Rosa Luxemburg seiner Meinung nach mißdeuteten Parteikampfes zwischen
     der intellektuell-opportunistischen und der proletarisch-revolutionären Richtung seit dem Frühjahr 1898. Nirgends in Europa
     habe das Bernsteinianertum so rasch zu seinem logischen Ende, nämlich der Bildung einer liberalen Fraktion, geführt. Leider
     weiche Rosa Luxemburg wie die Menschewiki einer Analyse des II. Parteitages und der anschließenden Kämpfe aus und differenziere
     unzureichend. 164 »Der Leser, der sich die Mühe nimmt, die Urquellen unseres Parteikampfes zu studieren, wird leicht begreifen«, faßte Lenin
     seine Entgegnung zusammen, »daß die Äußerungen der Gen. Rosa Luxemburg über den Ultrazentralismus, über die Notwendigkeit
     einer stufenweisen Zentralisation u. dgl. m. konkret und praktisch eine Verhöhnung unseres Parteitags, abstrakt und theoretisch
     (wenn hier von Theorie die Rede sein kann) aber weiter nichts als eine Verflachung des Marxismus, ein Mißbrauch der wirklichen
     Marxschen Dialektik etc. sind.« 165
    Mit Lenin und Rosa Luxemburg standen sich zwei gleichermaßen selbstbewußte und engagierte Persönlichkeiten gegenüber, deren
     Parteikonzeption auf zwei gänzlich voneinander verschiedene Parteitypen hinauslief. Der mehrfach aufflammende Streit, in dem
     es nicht an Übertreibungen und persönlicher Voreingenommenheit bzw. Überheblichkeit fehlte, konnte zwischen ihnen nie bis
     zu Ende ausgefochten werden. Seine Inhalte und Wirkungen kamen nahezu in allen späteren innerparteilichen Disputen über das
     Verhältnis von Führern, Parteien und Massen und in den Spaltungen der sozialdemokratischen wie kommunistischen Bewegung zum
     Ausdruck. Rosa |204| Luxemburg war letztendlich nicht in der Lage,

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