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Rosa

Rosa

Titel: Rosa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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bleiben?«
    »Nein, Mevrouw, das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun.« Ich schaute mich um und dämpfte meine Stimme für den Fall, dass Jurastudenten nebenan wohnten. »Wir nehmen nie Wirtinnen oder Vermieterinnen mit, zu ihrer eigenen Sicherheit. Falls de Vries mit seiner Abwesenheit gegen die Bewährungsauflagen verstößt, kommt die Sache vor Gericht, und dann müssen Sie oder Ihr Mann vielleicht aussagen. Ich habe entsprechende Befugnisse, aber wenn sein Anwalt erfährt, dass die Vermieterin in seiner Wohnung war, wird Ihnen das als Hausfriedensbruch ausgelegt. Rechtsanwälte wenden jeden Trick an, um ihre Mandanten freizukriegen.«
    »Ach so … Ich habe so was ja noch nie erlebt.«
    Ich lächelte. »Seien Sie froh.«
    Sie nickte nervös und verschwand hastig in Richtung Treppe. Ich drückte die Tür mit den Fingerknöcheln auf und schob sie mit dem Fuß zu. Ich zog ein Paar Plastikhandschuhe aus der Tasche und streifte sie über. In der Wohnung herrschte Halbdunkel. Victor war frühmorgens aufgebrochen und hatte nicht an die Gardinen gedacht. Ich bewegte mich vorsichtig hinüber zu den beiden Fenstern und zog sie auf. Gärten, Gartenhäuschen, Balkone. Victor hatte keinen Balkon, nur ein vier mal fünf Meter großes Zimmer mit einem schmalen Bett, Pensionsmöbeln, einem kleinen Fernseher auf einer Wandkonsole, einer Kochnische mit Küchenblock, einem Gaskocher auf einem Einbaukühlschrank. Alles wirkte sehr unpersönlich: helle Tapete, beige lackiertes Holz. Zwei Reproduktionen von einem Hotelkünstler an der Wand, zweifellos vom Vermieter aufgehängt. Zwar wurden die Mieter nicht über den Tisch gezogen, aber für die Gemütlichkeit mussten sie offensichtlich selbst sorgen.
    Victor tat nichts dergleichen. Alles deutete darauf hin, dass er nur zum Essen und Schlafen hierher kam. Lediglich die Waage gehörte, wie ich annahm, ihm, denn Herztransplantierte müssen sich jeden Morgen nackt darauf stellen, um zu kontrollieren, ob sich alarmierende Wasseransammlungen bildeten. Der Kühlschrank roch nicht sehr nach Herzpatientenhygiene und der Käse wies beginnende Schimmelbildung auf. Gekochter Schinken und Tomaten in Plastikbehältern. Limo und Fruchtsaft in der Tür. Herztransplantierte spülen ihre dutzende Tabletten häufig mit Orangensaft hinunter. Kein Alkohol. Die Kochnische war sauber, bis auf ein Glas in der Spüle. Victor hatte nicht gefrühstückt, es sei denn, er hatte sich die Zeit zum Abwaschen und Aufräumen genommen, aber dann hätte er bestimmt auch die Gardinen aufgezogen.
    Das Bett war gemacht, aber zerknautscht, als habe er darauf gelegen, um fernzusehen oder den Brief zu lesen und zu dem Entschluss zu kommen, sich aus dem Staub zu machen. Victor hatte eine Reisetasche mitgenommen. Im Einbauschrank hingen Kleidungsstücke, darunter ein ziemlich auffälliger violettblauer Anzug, rosafarbene und blaue Hemden. Ich durchsuchte die Schubladen. Unterwäsche und Socken, ein Vorrat an Plastikhandschuhen, sterile Masken und Taschenflakons mit wasserfreier antibakterieller Handwaschseife. Nichts Besonderes, keine Pistolen oder Schlagringe. Auch keine Kondome, die man ansonsten bei einem jungen, allein stehenden Mann normalerweise vorfindet. Allerdings ein Paket Monatsbinden.
    Die starrte ich eine Weile an, wobei ich absurderweise daran denken musste, dass in Victors Brust das Herz einer Frau schlug.
    Doch eine Freundin?
    Ich suchte im Bad nach Utensilien einer Frau. Nichts. Es gab eine Toilette, ein Waschbecken, einen Heizkörper und eine gekachelte Dusche. Spezialseife. Medikamente mit Namen wie Prednison und Ciclosporin im Hängeschrank. Herztransplantationspatienten besitzen Medikamentenrationen für unterwegs oder bewahren Vorräte an verschiedenen Orten auf. Das musste also nichts zu bedeuten haben. Ich entdeckte weder Zahnpasta noch Zahnbürste, allerdings hatte er seinen Rasierer zurückgelassen, was merkwürdig war. Vielleicht hätte Claire Sylvia daraus geschlossen, dass ein Frauenherz nicht nur schneller schlug, sondern dadurch auch der Bartwuchs nachließ und man sich plötzlich für Binden interessierte.
    Ich fragte mich, ob er verreist oder geflüchtet war. Er war Dienstagnacht von seiner Arbeit im Chez Minette zurückgekehrt und danach nicht wieder dort aufgetaucht, ohne sich abzumelden. Er hatte nicht geschlafen, nur auf dem Bett gelegen. Irgendjemand hatte einen Brief für ihn hinterlassen.
    Keine Bücher. Ein paar Playboys unter dem Wecker auf dem Weichholznachtschränkchen. Das Telefon

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