Rosa
Mevrouw, das hoffe ich zumindest. Aber vor einiger Zeit hat er einen Unfall verursacht und dafür eine Bewährungsstrafe erhalten. Deswegen muss er sich regelmäßig melden, und wenn er das versäumt, muss einer von uns ihn aufsuchen. Ist Ihr Mann zu Hause?«
»Walter geht samstags auf dem Ij angeln, jedenfalls bei schönem Wetter. Ein Freund von ihm hat ein kleines Boot. Vor heute Abend kommt er bestimmt nicht nach Hause.«
»Bekommt Meneer de Vries oft Besuch?«
»Nein, eigentlich nie …«
»Damenbesuch?«
Sie schüttelte den Kopf und ließ die Tür los. »Diese Woche hat jemand nach ihm gefragt, aber er war nicht zu Hause.«
»Wann war das genau?«
Sie runzelte die Stirn. »Dienstagabend?«
»An dem Abend, bevor er verschwand?«
»Ja, genau. Ich habe ihn am Mittwochmorgen weggehen sehen, es war noch sehr früh. Meistens schläft er lange.«
»Wer war dieser Besucher?«
»Er hat mir seinen Namen nicht genannt.«
»Wie sah er aus?«
»Ein ganz normaler Mann.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihn nicht deutlich gesehen, ich hatte die Tür nur einen Spalt geöffnet und es war dunkel. Er fragte, ob Victor zu Hause sei, und ich antwortete, er sei wahrscheinlich arbeiten. Ist das wichtig?«
»Wir wissen gerne, mit wem unsere Leute Umgang haben. Haben Sie Victor von dem Besuch erzählt?«
»Nein, aber der Mann hat einen Brief für ihn hinterlassen, den habe ich auf den Posttisch gelegt.«
Sie antwortete mir äußerst bereitwillig. Ich repräsentierte die Obrigkeit und mit der stehen Vermieterinnen gern auf gutem Fuß, sonst kommen wir vorbei und prüfen die Bücher. »Wissen Sie, was darin stand?«
»Natürlich nicht.« Sie machte ein gekränktes Gesicht. »Es war ein verschlossener Umschlag, adressiert an Victor de Vries. Mein Mann hat gesehen, wie Victor um zwei Uhr nachts nach Hause kam und ihn mit nach oben nahm.«
Der Besucher hatte damit gerechnet, dass Victor nicht zu Hause war, sonst hätte er keinen Brief für ihn bei sich gehabt. »Hat de Vries etwas gesagt, als er am Morgen wegging?«
»Kein Wort, er hatte es eilig.«
»Hatte er Gepäck bei sich?«
»Eine Reisetasche. Das ist mir aufgefallen.«
»Was für ein Auto fährt er?«
»Einen kleinen Japaner, blau, ein Nissan? Er stellt ihn meistens um die Ecke an der Kirche ab, hier kriegt man nicht so leicht einen Parkplatz.«
»Kennen Sie zufällig sein Autokennzeichen?«
»Nein, keine Ahnung. Aber der Wagen ist mindestens sechs Jahre alt, bestimmt gebraucht gekauft.«
Ich nickte. »Zahlt er pünktlich seine Miete?«
»Bis jetzt schon. Er wohnt hier erst seit vier Monaten. Normalerweise verlangen wir Referenzen, aber er machte einen ordentlichen Eindruck und war sofort bereit, die zwei Monatsmieten Kaution zu zahlen. Er sagte, er habe eine feste Anstellung in einem Restaurant. Ich konnte ja nicht ahnen …«
Ich hatte schon bei Victors ›Restaurant‹ angerufen. Im Chez Minette hatte man ihn seit Dienstag nicht mehr gesehen und war stinksauer auf ihn. »Sie brauchen sich nichts vorzuwerfen, Mevrouw. Wir versuchen, den Leuten so gut es geht bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu helfen. Haben Sie einen Schlüssel für sein Zimmer?«
»Natürlich, aber …« Sie wirkte plötzlich verunsichert.
»Wenn Sie wollen, besorge ich eine Vollmacht, aber dann müssen zwei Polizeibeamte mitkommen, das ist Vorschrift. Den meisten Hauseigentümern ist das eher unangenehm, deshalb regeln wir das meistens so. Ich möchte mich nur mal kurz umschauen, vielleicht liegt irgendwo eine Adresse oder ein Hinweis darauf, wo ich ihn finden kann.«
Niemand ist erpicht auf die Anwesenheit der Polizei und die Surinamerin ließ mich dankbar herein. Der Flur roch muffig, aber alles machte einen sauberen Eindruck und neben dem Posttisch stand ein großer Ficus in einem Kupfertopf. Für Pflanzen war es hier eigentlich zu dunkel und ich befühlte eines der Blätter. Plastik. Ich ging rasch die Briefe und Drucksachen durch, fand aber nichts für Victor de Vries.
Ich stand höflich lächelnd an der Treppe, als die Vermieterin mit erhobenem Schlüssel zurückkehrte, und ich folgte ihren braunen Waden in den zweiten Stock. Hinter einer der Türen lief alter Jazz, Miles Davis. Ich dachte an Andalusien. Die Surinamerin steckte den Schlüssel in eine Tür am Ende des Flures und öffnete sie.
»Vielen Dank, Mevrouw«, sagte ich, bevor sie eintreten konnte. »Warten Sie ruhig unten, ich klopfe, wenn ich fertig bin.«
»Sollte ich nicht lieber hier
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