Rosa
Freundin von Victor de Vries sein, doch ich sah nichts, was auf einen Mann hinwies. Dies hier war die Wohnung einer allein stehenden Frau mit romantischen Neigungen: Der Spaziergang von Monet und rote Chagall-Pferde an den rosa Wänden, Frauenkleidung auf einem Bügelbrett, ein iMac. Auf dem Mehrzweckschrank stand ein gerahmtes Foto von einem etwa dreizehnjährigen Mädchen und einem dunkelhaarigen, etwa acht Jahre alten Jungen rechts und links neben einer blonden Frau. Ihre Mutter.
Sie kam aus dem kleinen Flur und blieb stehen. Sie hatte den Morgenmantel fest zugebunden und ihr Gesicht ein wenig zurechtgemacht, jedoch nicht genug, um die Schwellung auf ihrer Wange zu verbergen. »Bitte verraten Sie nichts von der Pistole.«
»An Ihrer Stelle würde ich damit zur Polizei gehen.«
Sie lachte abfällig. »Dafür kriege ich garantiert keinen Waffenschein und ich würde sie gern behalten, bei dem ganzen Ungeziefer, das hier ein und aus geht.«
»Vielen Dank.«
»Sie meine ich nicht.«
Ich lächelte. »Die Pistole ist mir egal. Ich mache mir mehr Sorgen um den Kerl, der Ihnen das angetan hat.« Ich tippte mir auf die Wange. »War das Victor?«
Sie schaute mich voller Erstaunen an. »Victor?«
»Victor de Vries wohnt doch hier?«
»Das hätte mir gerade noch gefehlt.«
»Wer war es dann? Ein rabiater Kunde?«
Ihre Augen wurden schmal. »Glauben Sie, ich bin eine Hure?«
»Noch glaube ich gar nichts.«
»Dieser Mistkerl. Erst hat er behauptet, er wäre geschieden, dann war er es doch nicht. Diese Typen sehen einen schönen Körper und auf der Stelle versprechen sie dir das Blaue vom Himmel herunter.« Ihr Gesicht verdüsterte sich.
»Einen Scheißjob zum Beispiel?«
Sie lachte sarkastisch. »Ich falle jedes Mal auf schöne Reden rein. Ich habe bei einem Verleger gearbeitet, deswegen. Der konnte übrigens auch seine Pfoten nicht bei sich behalten.«
»Manchmal hat man wirklich Pech.«
»Ab und zu sage ich mir: Warum eigentlich nicht? Wissen Sie, was man bei so einer Escortagentur verdient?« Sie streckte die Brust heraus. »Talent genug habe ich.«
»Das kann ich bestätigen.« Ich lächelte ihr zu.
»Tut mir leid.« Sie drehte sich zu der Schrankwand um. »Möchtest du eine Tasse Kaffee? Wie heißt du nochmal?«
»Max Winter.«
»Du hast mich ziemlich überfallen.«
»Ich werde meine Hände bei mir behalten und dir keine leeren Versprechungen machen.«
Sie zog die Kanne aus der Kaffeemaschine und betastete mit der anderen Hand ihre Wange. »Dieser widerliche Mistkerl«, schimpfte sie. »Nimmst du Zucker?«
»Nur ein bisschen Milch.« Ich setzte mich in einen Sessei dem Sofa gegenüber. »Du bietest mir Kaffee an, dabei weiß ich noch nicht einmal deinen Namen.«
»Na ja, ich hätte dich beinahe über den Haufen geschossen.« Sie betrachtete mich aufmerksamer. »Ich heiße Betty. Bist du verheiratet?«
»Ich lebe glücklich und zufrieden mit der Mutter meiner Tochter zusammen.«
Sie seufzte. »Immer dasselbe. Und du kriegst ihn natürlich auch noch hoch, ohne deine Frau verprügeln zu müssen.«
Der Morgenmantel öffnete sich wieder, als sie den Kaffee hinstellte. Ich antwortete nicht, denn es war keine ernsthafte Frage gewesen. Manchen Frauen spielt das Leben einfach übel mit.
Ich wies mit einem Nicken auf den Computer. »Arbeitest du von zu Hause aus?«
Sie folgte meinem Blick. »Manchmal. Ich lektoriere Manuskripte. Wie gesagt, ich habe bei einem Verleger gearbeitet, aber seine Frau hat dafür gesorgt, dass ich nach vier Monaten wieder auf der Straße stand.«
Ich rührte in meinem Kaffee und sagte: »Eigentlich wollte ich zu Victor de Vries.«
»Er ist mein Bruder.«
»Er hat diese Adresse angegeben.«
Sie strich sich das blonde Haar aus den Augen. »Das muss aber eine Weile her sein.«
»Also hat er hier gewohnt?«
»Nein, nie. Vielleicht hat er meine Adresse angegeben, weil … Ach, was weiß ich.« Eine Falte erschien über ihrer Nasenwurzel. »Du bist doch kein Bewährungshelfer?«
Ich schaute sie an und beschloss, ihr keine Lügenmärchen aufzutischen. »Nein.«
»Victor ist ein guter Junge.«
»Aber natürlich«, erwiderte ich freundlich. »Ich habe sein Vorstrafenregister gesehen, weißt du.«
»Shit«, sagte sie erneut. »Hat er etwas ausgefressen?«
»Keine Ahnung. Ich komme wegen seines Herzens. Er hatte doch vor ungefähr drei Jahren eine Herztransplantation?«
Die Vorstellung, dass ich nur eine Art Beamter war, schien sie zu enttäuschen. »Geht es wieder mal um eine
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