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Rosa

Rosa

Titel: Rosa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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sie ein unsichtbares Gewicht. »Ich arbeite hier seit vierzig Jahren, zuerst für ihre Eltern, sie war ihre einzige Tochter. Sie ist immer gut zu mir gewesen. Sie hat genug Kummer gehabt. Ich wollte sie nur beschützen.«
    Ich schaute ihn eine Weile an. Die alte Treue. Sie ist inzwischen so selten geworden, dass man erstaunt und misstrauisch reagiert, wenn man ihr begegnet. »Sie wussten, dass ich Victor auf der Spur war«, sagte ich. »Deswegen wurden mir diese Männer auf den Hals gehetzt. Sie sollten Victor zum Schweigen bringen, bevor er den Mund aufmachen konnte.«
    Er blickte hartnäckig zu Boden. Die Stille füllte summend den Raum.
    »Henri?«
    Er nickte. »Das war nicht richtig«, flüsterte er. »Ich wusste mir nicht anders zu helfen.«
    Verbrechen, erklärt für simple Gemüter. Ich hätte darüber gelacht, wenn mir nicht klar gewesen wäre, dass alles viel schlimmer hätte kommen können. Schlimmer, als es für Victor ohnehin schon war.
    »Außerdem war es unnötig«, fuhr ich fort. »Ein anderer ist allen zuvorgekommen. Victor ist tot.« Ich stellte die Tasche neben ihn auf den niedrigen Tisch und hörte die Tür. Blitzschnell stand Henri auf.
    »Hier sind Sie, Henri!« Arin Reider schwieg abrupt, als sie mich sah.
    »Guten Tag, Mevrouw«, grüßte ich.
    Sie stand groß und dunkel und indigoblau inmitten der Stille, in der jede Stimme zu laut klang und sich durch ihr Timbre verriet – auch die ihre. Sie blickte ihren Hausdiener an, als biete er ihr den einzigen Halt. »Warum haben Sie mir nicht Bescheid gesagt?«
    »Das ist meine Schuld, Mevrouw«, sagte ich. »Ich woll te mich erst kurz mit Henri beraten.«
    Sie runzelte unsicher die Stirn, als vermute sie eine Verschwörung und schrecke vor dem Grund zurück. »Wo rüber?«
    »Victor de Vries ist tot.«
    »Oh.« Ihr Blick wanderte zu der Kühltasche.
    Ich öffnete die Tasche und schob die Papiertüte herunter, sodass diese zurückblieb, als ich das Glasgefäß herausnahm. Ich richtete mich auf und hielt ihr die Flasche hin.
    Ihre Augen trübten sich und ich sah, dass sie für einen Moment aus dem Gleichgewicht geriet. »Ist das …«
    »Ja, Mevrouw«, sagte ich sofort, um die Antwort auf eine konkrete Frage zu vermeiden. »Setzen Sie sich einen Augenblick .«
    Arin schüttelte den Kopf. Fasziniert betrachtete sie das Herz in der Flasche. »Henri«, sagte sie.
    Der Hausdiener kam auf mich zu und nahm mir das Gefäß ab.
    Arin blieb stehen. »Ich hatte einen schrecklichen Traum«, sagte sie. »Siroun wurde durch einen Gang gefahren und auf einen Tisch gelegt. Sie rief nach mir und dann wurde alles dunkel.«
    »Sie können sie jetzt in Frieden ruhen lassen, Mevrouw«, sagte Henri. Er stand an der Tür, die Flasche in einem Arm, die andere darauf gelegt.
    »Danke, Henri.« Sie sah mir in die Augen. »Was ist geschehen?«
    Ich dachte an Bart. Ich wollte es hinter mich bringen und es spielte sowieso keine Rolle mehr. Ich warf Henri, der noch immer an der Tür stand, einen Blick zu. »Ein guter Freund von mir bei der Polizei wusste, dass ich auf der Suche nach Victor de Vries war«, begann ich. »Er rief mich an, als er erfuhr, dass Victor ins Krankenhaus eingeliefert worden war.«
    Arin legte die Handflächen zusammen. »Sehen Sie?« Sie schaute mit seltsamer Genugtuung Henri an, als habe er nie an ihre Träume glauben wollen.
    »Ja, Mevrouw«, sagte Henri.
    »Sie konnten ihn leider nicht retten.« Ich wies mit einem Nicken auf das Gefäß. »Ich habe mich mit meiner Bitte an jemanden im Krankenhaus gewandt, aber Sie werden verstehen, dass das absolut vorschriftswidrig ist und mir diese Person nur unter der Bedingung geholfen hat, dass sie unter allen Umständen anonym bleibt. Das habe ich Henri soeben erklärt.«
    »Das hätten Sie mir doch auch sagen können«, erwiderte Arin. »Aber warum musste der junge Mann ins Krankenhaus?«
    Ich zögerte. Vielleicht packte sie schon ihre Koffer für die Reise nach Armenien. Ein Mord in Antwerpen würde ihr wenig sagen und sie nicht interessieren, diese Art von Nachrichten überblätterte sie vermutlich. Amsterdamer Heldentaten wurden im Lokalteil von Zeitungen erwähnt, die sie nicht las. Ich zuckte mit den Schultern und schaute zu Henri hinüber, der die Zeitungen wahrscheinlich zensierte. »Mit einem transplantierten Herzen gerät alles, was man tut, zu einem Risiko«, sagte ich. »Vor allem wenn man in die Gracht springt, um eine junge Frau vor dem Ertrinken zu retten. Alle anderen standen nur herum und guckten

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