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Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)

Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)

Titel: Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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dabei mehrfach sämtliche Gegenstände im Zimmer zählte.
    »Ein kleines Baby … ein süßes Baby …«, murmelte Momma, wenn wir sie ins Bett trugen. »Es ist kein Baby mehr da … kein Baby mehr …«
    Ich konnte mir nicht vorstellen, wie Momma ein weiteres Kind hätte bekommen wollen. Wir als Familie wären nicht damit fertiggeworden. Aber die Abtreibung hatte Momma völlig aus der Bahn geworfen.
    Kurz danach beschloss Momma, Henry in ein Kinderheim zu geben. Wir stritten mit ihr, aber sie war sehr resolut, was nur zeigte, wie nah sie am Abgrund stand.
    Wir hörten auf, mit ihr zu streiten.
    So kam Henry im Alter von elf Jahren in ein Kinderheim. Uns wurde gesagt, es würde ihm dort gefallen.
    Es ging nicht gut.
    Momma verzieh es sich nie.

    Das Heim wurde offiziell vom Staat geführt, Momma hatte Anspruch auf finanzielle Unterstützung. Damals galt die Heimerziehung als moderne Methode, mit behinderten oder »unmündigen« Kindern umzugehen.
    Wir gingen davon aus, dass Thelma und ihr Mann Trent die Kinder in ihrem eigenen Haus unterbrachten. Wir nahmen an, sie würden auch dort wohnen. Weit gefehlt.
    Thelma sah aus wie ein als Frau verkleideter Mann, ein grauhaariger, hässlicher Mann. Trent erinnerte mich an einen Abwassertank. Er roch nach altem Schweiß und verdorbenem Fleisch.
    Als wir Henry ablieferten, versuchte er, wieder zu uns ins Auto zu steigen.
    »Nein, Henry«, sagte Momma, mit Tränen in den Augen. Sie war dünner, als ich sie je gesehen hatte, war in zwei Wochen um zehn Jahre gealtert, und ihr Körper hatte seit Monaten nicht zu zittern aufgehört. In ihren Augen war kein Leben mehr. »Mein Schatz, ich liebe dich, ich liebe dich so sehr.« Sie hielt sein Gesicht nahe an ihres. »Ich liebe dich.«
    Ich unterdrückte den Schmerz, der bei ihren Worten glühend in mir aufstieg. Momma sagte uns Mädchen selten, dass sie uns liebte, daher schrillte ein Dutzend Alarmglocken in meinem Kopf. Endlich begriff ich es: Momma gab Henry in einem Heim ab, weil sie nach einem Ort suchte, an dem er leben konnte, wenn sie nicht mehr da war; sie wusste nämlich, dass man uns Schwestern nicht gestatten würde, für ihn zu sorgen.
    Momma drückte Henry lange und fest an sich, durch das Weinen war ihr Gesicht nass und fleckig. Sie war bereits auf dem Absprung.
    »Du bleibst hier, Henry«, sagte ich zu ihm und drückte ihn an mich. Selbst als aufgewühlter Teenager wusste ich, dass wir Schwestern alles, was wir hatten, daransetzen mussten, um Momma wieder in die Spur zu bringen. »Wir besuchen dich in ein paar Tagen.«
    »Nein. Nein. Momma!« Henry schüttelte den Kopf und fuchtelte mit den Händen. Er trug sein Lieblings-T-Shirt mit dem Smiley darauf.
    »Ich geh mit dir. Ich bleib bei Momma und Henrys Schwestern.«
    »Henry«, sagte ich, und meine Stimme brach. »Du kannst trotzdem Ausflüge machen. Sie bringen dich zu deinen Arztterminen, und der gelbe Bus kommt und bringt dich in die Schule. Es ist nur für neun Tage, Henry. Am übernächsten Wochenende kommst du nach Hause.«
    Henry brach in Tränen aus.
    Janie ebenfalls.
    »Henry«, sagte Cecilia sanft. Er war der Einzige, zu dem sie sanft war, der Einzige, mit dem sie schon immer sanft gewesen war. »Das wird ein großes Abenteuer. Es wird dir gefallen.«
    »Mir gefällt es hier nicht!«, brüllte er mit rotem Gesicht. »Es gefällt mir nicht! Ich geh heim. Ich geh heim mit Momma! Geh heim mit Schwestern!«
    Ich glaubte, Momma würde auf dem Gehsteig zusammenbrechen, und stützte sie deshalb. Als sie dennoch zusammensackte und sich ihr Blick noch mehr verschleierte, hielt Janie sie auf der anderen Seite.
    Thelma und Trent griffen ein. Sie packten Henry an den Armen, als er unbeholfen zum Auto laufen wollte.
    »Der wird sich schon beruhigen«, dröhnte Thelma. Ihre weißen Unterarme schwangen auf und ab wie Pumpenschwengel. »Er wird sich daran gewöhnen. Hört auf, ihn wie ein Baby zu behandeln.«
    »Wir behandeln ihn nicht wie ein Baby«, fauchte Cecilia. »Es ist das erste Mal …«
    Henry jammerte und brüllte: »Ich bleib nicht hier! Ich hab meine Momma lieb! Ich hab meine Schwestern lieb! Ich bleib bei euch!«
    Momma sackte noch mehr in sich zusammen, als wären ihre Beine aus Gummi.
    »Er manipuliert euch«, teilte uns Thelma mit, das Gesicht missbilligend verzogen.
    »Henry manipuliert niemanden«, protestierte ich. »Niemals.« Ich hatte Thelma und Trent auf Anhieb nicht gemocht. Sie waren streng und abweisend. Ich zog Momma wieder auf die Beine.
    Dass

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