Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
Momma Thelma nicht zur Schnecke machte, war ein weiterer Beweis für mich, wie schlimm es um sie stand. Momma konnte jederzeit jedem den Kopf waschen. Dass sie sich hier geschlagen gab, verunsicherte mich mehr als ihre wütenden Schimpftiraden.
Ich sah zwei spindeldürre Jungen auf der Veranda lungern. Sie hatten beide schwarzes Haar und braune Augen. An ihrem Grinsen war etwas Unheimliches, etwas Seltsames an der Art, wie sich ihre Finger ständig bewegten, ihre Köpfe vor und zurück ruckten. Einer der beiden fuhr sich mit der Handkante über die Kehle, als er sah, dass ich ihn anstarrte.
»Er manipuliert euch durch seinen Wutanfall«, schimpfte Thelma und schleppte den brüllenden und um sich tretenden Henry mit Unterstützung ihres Mannes zum Haus. »Diese Kinder brauchen Regeln und Grenzen wie normale Menschen, und ich sehe schon, dass er die nicht kennt.«
Momma stöhnte in meinen Armen, Henrys hohe Schreie trafen uns direkt ins Herz.
»Ach, hören Sie doch auf!«, brüllte Cecilia. »Henry kennt Disziplin. Er hat Angst, sehen Sie das nicht?«
»Seien Sie nett zu meinem Bruder, oder ich bringe Sie um!«, schrie Janie mit geballten Fäusten.
Mein Kopf fuhr herum. Janie war immer so sanft. Später erzählte sie mir, dass sie nach Hause gekommen war und an dem Tag damit begonnen hatte, gewalttätige Gedanken zu entwickeln.
»Auf Wiedersehen, Miss Bommarito«, sagte Thelma mit aufgesetzter Arroganz. »Ich habe ausführlich mit den staatlichen Stellen über Ihre … besondere Situation … gesprochen, und ich kann mit Henry fertigwerden. Ich kümmere mich ab jetzt. Sie gehen nach Hause.«
»Momma!«, heulte Henry. »Cecilia! Janie! Helft mir! Helft Henry! Helft Henry! Isi! Isi! Hilf du Henry!«
»Reiß dich zusammen, junger Mann. Spiel hier nicht das große Baby«, befahl Trent und schob Henry die Verandastufen hinauf. »Verdammt«, sagte er, als Henry ihn in seinen wabbeligen Bauch trat.
Mit grimmig geröteten Gesichtern schleppten Thelma und Trent Henry ins Haus. Die Jungs auf der Veranda lachten hämisch und zuckten mit den Fingern, während Momma emotional ans Ende ihrer Kräfte kam.
Wir mussten Momma davon abhalten, sich umzubringen, daher fuhren wir sie direkt ins Krankenhaus. Ich saß am Steuer. Ich konnte zwar kaum fahren, aber wir hatten es nicht weit. Die Ärzte warfen einen Blick auf sie, warfen einen Blick in ihre Krankenakte und wiesen sie ein. Wir erzählten, wir würden zu unserer Tante Caroline gehen. Sie waren zu beschäftigt, um das zu überprüfen.
Nach sieben Tagen holten wir Momma wieder ab. Langsam fuhr ich sie nach Hause. Es ging ihr etwas besser, sie war ein wenig erholt und hatte neue Medikamente bekommen. Sie hatte immer noch diesen dumpfen, leeren Gesichtsausdruck, als wäre sie gar nicht da. Wie sie für ihren Job wieder Glanz in die Augen bekommen wollte, weiß ich nicht. Aber die Männer waren ja auch nicht da, um ihr in die Augen zu sehen.
»Hallo, Momma«, sagten wir.
»Bringt mich nach Hause«, krächzte sie. »Wie geht es Henry?«
Wir versuchten, uns so wenig wie möglich anmerken zu lassen, wie gekränkt wir waren, dass sie sich nicht nach uns erkundigte.
Das war eine der vielen kleinen Kränkungen.
Am Freitag waren wir um Punkt fünf vorm Kinderheim. Henry stürzte in Mommas Arme, und sie wollten einander kaum loslassen. Er umarmte jede von uns, weinte dabei auf eine Weise, wie ich ihn noch nie gehört hatte; jämmerliche, gequälte Laute quollen aus seinem Mund.
»Was ist passiert, Thelma?«, fragte Momma und hielt Henry umklammert. Sie zitterte immer noch, aber nicht mehr so stark.
»Nichts ist passiert«, gab Thelma zurück und verschränkte ihre altersfleckigen Arme über ihrem Kanonenkugelbauch. »Also, Henry, erzähl deiner Mutter, was du erlebt hast.«
Henry riss die Augen auf. Er warf den Kopf in den Nacken und heulte, ein Geheul, das aus tiefster Seele kam. »Ich sag nichts, ich sag nichts, ich sag nichts!«
Mommas Gesicht wirkte ebenso entsetzt wie das von Thelma und Trent.
Ich sah, dass die beiden sehnigen Jungen mit dem hämischen Grinsen sich neben dem Haus die Hände vor den Mund hielten, um nicht loszuprusten.
Henry drehte sich zu ihnen um. »Ich sag nichts, ich sag nichts, ich sag nichts!«, schrie er sie an. »Ich sag niiiiichts!«
Ich ahnte, dass da etwas vorgefallen war, wusste aber nicht, was. Damals sprach man noch nicht über diese Art von Geheimnis, und ich wusste nicht mal, dass es dieses Verbrechen gab. Es überstieg meine
Weitere Kostenlose Bücher