Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
das Licht an und griff nach dem Telefon.
Die Nachricht war nicht gut.
Ein Anruf um zwei Uhr morgens kann nichts Gutes bedeuten.
Das weiß man.
»Er ist im Krankenhaus«, sagte Dad mit beherrschter Stimme, doch die Sorge schimmerte hörbar durch.
»Wir kommen«, sagte ich. Panik raste mir wie ein angreifender Stier durch den Körper. »Sofort.«
Cecilia lag am Boden, die Hand auf der Brust. »Großer Gott, was ist los?«
»Oje, oje«, flüsterte Janie.
»Henry«, sagte ich erstickt. »Dad und Velvet wissen nicht, was ihm fehlt. Er hat Schmerzen. Er sagt, sein Bauch täte weh. Sie haben ihn ins Krankenhaus von Trillium River gebracht. Velvet ist bei Grandma geblieben.«
Wir warfen uns Kleider über und stürzten aus der Tür.
Unser süßer, liebevoller Henry hing am Tropf, bleich, schwach, die Augen auf eine Weise geschlossen, wie sich die Augen Sterbender schließen.
Auf typische Bommarito-Art umarmten und küssten wir Henry, dann zogen wir drei Schwestern uns auf den Krankenhausflur zurück und brachen auf unsere eigene Art zusammen.
Bauchspeicheldrüsenkrebs ist ein Wort, das man nie hören möchte.
Es bedeutet, dass die Bauchspeicheldrüse, dieses Organ, das wir normalerweise gar nicht wahrnehmen, dieses knapp zwanzig Zentimeter lange Ding , das quer unter dem tiefsten Teil des Magens liegt, mit Krebs infiziert ist. Die Zellen mutieren unglaublich schnell, sind langlebig und bilden Tumore, die ihrem Wirt das Leben aussaugen. Der Wirt können sein: Großvater, Tante, Schwester, Vater und so weiter. Der Krebs verbreitet sich für gewöhnlich rasch, ist heimtückisch und grausam.
Und wenn man schließlich herausfindet, dass man ihn hat, steht es nicht zum Besten.
Bei unserem Henry, unserem liebevollen Henry, stand es nicht zum Besten.
»Der Krebs hat Metastasen gebildet«, teilte uns Dr. Remmer am späten Nachmittag des nächsten Tages im Konferenzraum mit. Sie war dünn, etwa sechzig Jahre alt, hatte das graue Haar zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Fachkundig, freundlich, professionell. Genau diejenige, die man sich wünscht, wenn man in einer Lebenskrise steckt.
Dad lehnte den Kopf zurück, bedeckte sein weißes, käsiges Gesicht mit den Händen.
»Das verstehe ich nicht«, fuhr Cecilia sie wütend an. »Er hat sein Leben lang mit Bauchschmerzen zu tun gehabt. Wir haben immer dafür gesorgt, dass er sich hinlegt, Milch trinkt und Kekse isst … wie konnte das passieren? Wie konnte Henry Bauchspeicheldrüsenkrebs bekommen? Er trinkt nicht, raucht nicht, hat nie Drogen genommen. Er ernährt sich gesund. Er ist ein bisschen dick, aber mehr auch nicht. In den letzten zwei Monaten hat er fast sieben Kilo abgenommen!«
Janie begann hicksend zu weinen und klopfte im Viererrhythmus auf den Tisch. Sie hatte sich bereits Zitronentee besorgt.
»Ungewollter Gewichtsverlust«, sagte die Ärztin ruhig und beherrscht, »kann tatsächlich ein Anzeichen für Bauchspeicheldrüsenkrebs sein.«
Die Ärztin blickte auf ihre Notizen und die Laborergebnisse, die sie vor sich auf dem Konferenztisch ausgebreitet hatte.
»Wie können sich bereits Metastasen gebildet haben?«, fragte Cecilia. »Wir haben doch gerade erst von dem verdammten Ding erfahren!«
»Der Krebs ist ein schreckliches Wesen.« Die Ärztin zeigte uns eine Computertomographie, den schwarzweißen, verschwommenen Fleck einer Bauchspeicheldrüsen-Katastrophe.
»Der Krebs hat auf die Leber übergegriffen.« Eine weitere Aufnahme.
»Er hat auf den Magen übergegriffen.« Noch eine Aufnahme.
»Wir befürchten, er sitzt auch in den Lymphknoten.«
Janie gab sich geschlagen, warf die Hände in die Luft und schluchzte.
Über Dads zerfurchtes, totenblasses Gesicht rannen die Tränen.
Ich konnte mich kaum bewegen.
Vernichtung, trostlos und alles verzehrend, erfüllte mein ganzes Sein. Wie konnte das passieren? Wie hatte das passieren können?
Cecilias Wut wuchs. »Wir müssen das in Ordnung bringen. Kann er heute mit der Chemotherapie anfangen? Was ist mit Bestrahlung? Können Sie das verdammte Ding rausoperieren? Wie sieht Ihr Plan aus? Wir müssen sofort damit anfangen. Auf der Stelle. Heute Abend noch.« Ich glaube, sie merkte nicht mal, dass ihr ganzer Körper bebte und ihr Kopf vor Anspannung wackelte.
Ich legte ihr die Hand auf den Arm, obwohl sich der Raum um mich zu drehen schien.
»Lass das!«, schimpfte sie und sprang auf. »Fass mich nicht an! Ihr sitzt hier alle rum und tut nichts. Nichts. Und Henry braucht Hilfe!« Sie schlug
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