Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
kleine Nadel in deine Haut stecken, und der Saft fließt dadurch in dich hinein.«
Er verzog das Gesicht. »Versteh ich nicht. Versteh ich nicht. Ich trink den Saft. Hier gibt’s heiße Schokolade, Dr. Remmer. Kostet nichts. Ich hab heiße Schokolade getrunken. Meine Schwestern und Momma auch. Willst du heiße Schokolade? Ich mach welche für dich.«
»Tut mir leid, Henry, das ist ein besonderer Saft, und der muss genau hier in deinen Körper hinein.« Sie tippte mit dem Finger auf seine Armbeuge.
Ich hörte, wie Cecilia schwer atmete. Momma wandte den Kopf ab.
Henry drehte seinen Arm um und betrachtete die verletzliche Stelle. »Nein. Nicht da rein. Da nicht. Ich trink es.« Er grinste.
»Henry«, sagte ich, »das ist nicht schlimm. Die Ärztin gibt dir den Saft in den Arm, während du heiße Schokolade trinkst und wir Dame spielen.«
»Nein. Ich glaub nicht, Isi. Nein. Danke.« Er grinste, während er wieder mit dem Zauberstuhl spielte, rauf und runter fuhr.
»Ich zeig es dir, Henry.« Die Ärztin packte den Infusionsschlauch aus. Sie zeigte ihm die winzige Nadel, die sie für die Chemo in seine Armvene einführen würde.
»Das geht nicht in mein Arm!« Henrys Augen wurden groß. Er schüttelte den Kopf.
»Doch, und es tut nur ganz kurz weh, mehr nicht. Das ist alles.«
»Was?« Henrys Stimme hob sich. »Nein. Mach ich nicht. Keine Nadeln. Nein, nein.«
»Es dauert doch bloß eine Sekunde, Henry«, flehte Cecilia, die Augen glänzend vor Tränen. »Eine Sekunde.«
»Ich will keine Sekunde. Ich will keine Spritze. Heiße Schokolade!«
»Das ist keine Spritze«, sagte Janie. »Dadurch läuft der Saft rein. Denk dir, es wäre ein Strohhalm. Ein Ellbogenstrohhalm.«
Henry starrte auf die Nadel. »Das ist kein Strohhalm.«
»Weißt du noch, als wir im Krankenhaus waren, Schatz?«, fragte Momma und beugte sich vor. Ich merkte, dass sie kurz davor war, die Nerven zu verlieren. »Da hattest du auch so was in deinem Arm. Und danach ging es dir besser.«
Das stimmte. Aber Henry hatte ein Beruhigungsmittel bekommen, bevor sie ihn an den Tropf hängten.
Momma zitterte. »Das ist gar nicht schlimm, Henry, und es ist ganz schnell vorbei. So schnell, wie du im Tierheim einen Hund dazu bringen kannst, sich auf den Rücken zu legen. So schnell, wie du einen Hund dazu bringen kannst, auf den Hinterbeinen zu tanzen. Genauso schnell. Schnell wie der Blitz!«
»Komm, ich zeig es dir«, sagte die Ärztin.
Schnell wie der Blitz klappte Henry die Fußstütze herunter und stand auf. »Nein, nein, nein. Ich mach das nicht. Du tust das nicht in mein Arm. Das tut weh. Aua!«
»Henry, das ist der Saft, den du brauchst, damit dein Krebs weggeht«, sagte Cecilia. »Darum musst du dich hinsetzen und ihn nehmen.«
»Ich nehm den Saft nicht mit der Nadel in mein Ellbogen.« Er schüttelte den Kopf hin und her. »Nicht mit der Spritze.«
»Henry, bitte«, flehte Cecilia verzweifelt flüsternd. »Bitte. Es wird nicht wehtun. Nachher gehen wir ein Eis essen. Zwei Kugeln. Mit Sahne. Und Schokoladensoße.«
»Nein. Ich geh jetzt.« Er machte kehrt. Ich war nicht auf diese Woge tiefster Verzweiflung vorbereitet, die über mich hinwegschwappte, als er zur Tür ging. Ich hatte die Chemotherapie nicht gewollt, aber das hier war so … endgültig. Das war es. Mehr gab es nicht.
Er ging hinüber zu dem Vater mit den zwei Kindern. »Einen schönen Tag. Quak, quak.«
Die Kinder quakten zurück.
Zu der Frau mit der Hundezeitschrift sagte er: »Grüß Kermit, den Hund, von mir. Ich geh morgen Hunde streicheln.«
Sie versicherte ihm, das würde sie tun. Ein winziges Lächeln hob ihre Mundwinkel.
Ungeduldig wischte Cecilia ihre Tränen fort. »Setz dich, Henry. Setz dich sofort hin.« Von Geduld war in ihrer Stimme nichts mehr zu hören.
Er drehte sich mit weit aufgerissenen Augen um. »Bist du böse auf mich, Cecilia? Sei nicht böse auf Henry.«
»Ich bin böse auf dich. Du brauchst diese Medizin.« Cecilia verschränkte die Arme, das Gesicht gerötet.
»Nein.« Henry verschränkte ebenfalls die Arme. Er wurde selten wütend, aber auch er hatte das Bommarito-Naturell, und ich wusste, dass seine Gereiztheit stieg.
»Doch!«, sagte Cecilia. »Doch, du setzt dich augenblicklich da hin!« Sie wies auf den Sessel.
»Nein! Ich setz mich da nicht hin!«, rief Henry.
Ich sah, wie Janie aufzustehen versuchte und zurücksank. Momma verbarg das Gesicht in den Händen.
»Wenn du dich nicht hinsetzt, heb ich dich hoch und setz dich da
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