Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
kahle Stelle. Ich wollte nicht, dass sie sich schämte oder hässlich fühlte, wie ich es mein ganzes fettes Leben lang getan habe, aber dann beobachtete ich sie genauer, und mir fiel auf, dass sie ständig mit ihrem Haar spielt. Einmal beim Fernsehen sah ich, wie sie sich ein Haar ausriss.«
»Sie hat es absichtlich ausgerissen? Vielleicht war das ein Versehen.« Warum sollte sich Riley die Haare ausreißen?
»Ich hab sie weiter beobachtet, und sie hat es noch mal getan. Ich war nicht mal sicher, ob sie es selbst merkte. Sie tastete auf ihrem Kopf herum, an den Seiten, am Hinterkopf, als versuchte sie, das perfekte Haar zu finden, und als sie es hatte, wickelte sie es sich um den Finger und zog. Dann steckte sie es in den Mund …«
»In den Mund?«
Cecilia schlug sich die Hände vors Gesicht. »Ja, und sie spielte damit im Mund. Dann hat sie es auf ihrem Bein abgelegt und das nächste gesucht.«
»Hast du irgendwas zu ihr gesagt?« Scheibenkleister.
»Ja, nach ungefähr vier Haaren. Ich wollte nett sein, deshalb sagte ich: ›Riley, was machst du da? Willst du so kahl werden wie E. T.?‹ Sie fuhr zusammen, als hätte ich eine Kanone abgeschossen. Ich ging zu ihr, hob die Haare von ihren Beinen, zeigte sie ihr, und sie brach zusammen. Ihr Gesicht verzerrte sich, da hab ich sie in die Arme genommen. Es war schrecklich. So ein Schwachsinn! Sich die eigenen Haare auszureißen!«
»Hast du ihr gesagt, dass sie damit aufhören soll?«
»Nein, ich hab ihr gesagt, sie soll noch mehr ausreißen. Himmel nochmal! Was meinst du wohl, was ich getan habe, Einstein? Ihr gesagt, sie solle ein Vogelnest bauen? Vielleicht Makramee aus Haaren? Sie hat versprochen, damit aufzuhören.«
Ich sah, wie Cecilia das Gesicht verzog.
»Sie hat nicht aufgehört«, sagte ich.
Cecilia schüttelte den Kopf. »Ich hab sie angefleht, ihr gedroht. Sie vollgelabert. Sie reißt einfach weiter, wie ein Haarfanatiker. Nicht mehr lange, dann ist sie völlig kahl. Ihr Scheitel ist schon über drei Zentimeter breit, die anderen Kinder machen sich darüber lustig. Ich war mit ihr beim Arzt und hab über die Symptome im Internet nachgelesen. Ich hab mich sogar einer blöden Elternselbsthilfegruppe angeschlossen, und du weißt, was ich davon halte, wenn ein Haufen Leute zusammenkommt und sich über Probleme auslässt.«
»Ja. Ich glaube, du hast mal gesagt, das sei was für Spinner ohne Rückgrat.«
»Jawoll. Ganz genau.«
Ich nickte.
Wenn ich höre, dass ein Erwachsener Probleme hat, egal ob körperliche oder emotionale, dann ist das eine traurige Sache. Aber so ist das Leben. Wir kriegen alle mal eins übergebraten. Wir werden alle mal in die Knie gezwungen. Dann reißt man sich zusammen und nimmt es hin.
Aber Kinder. Das ist ein ganz anderes Paar Schuhe.
Darüber hinaus ein Kind, das ich kenne und liebe.
Riley, unsere geniale Riley, die ihre Familie und die Physik liebt. Und sich die Haare ausreißt.
»Das tut mir leid, Cecilia.«
»Mir tut’s auch verdammt leid.« Sie ließ den Kopf in die Hände sinken.
Ich nahm sie in den Arm und küsste sie auf die Schläfe.
Warum kann das Leben nicht einfach sein?
Am nächsten Abend saßen Grandma, Henry, Janie, Cecilia, die Mädchen und ich bei selbstgemachter Pesto- und Tomatenpizza um den Holztisch in der Küche, die Verandatüren für die sanft hereinwehende Brise geöffnet. Velvet spielte in der Stadt mit einer gemischten Gruppe Poker. (Dabei gewann immer dieselbe Frau. »Da kriegen die Jungs Hummeln im Hintern!«, hatte sie mir erzählt. »Einen Steifen im Overall!«)
Während der gesamten Mahlzeit nahm Grandma ihre Fliegerbrille nicht ab und machte Flugzeuggeräusche.
Riley zog an ihrem Haar und ließ zwei Haare zu Boden fallen, während sie ihren Erdbeershake trank.
Kayla trug eine weiße Toga und eine Goldkette auf dem Kopf, von der ein Halbmond bis fast auf ihre Nase baumelte.
»Ich beschäftige mich mit verschiedenen antiken Religionen«, erklärte sie mit leichter, monotoner Stimme. »Ich bewege mich in der Zeit zurück, gehe in die Tiefen meines Geistes, um unsere Vorfahren zu erreichen.«
»Oh, das ist keine gute Idee«, protestierte Janie. »Was ist, wenn einer unserer komischen Verwandten hochkommt und von dir verlangt, verrückte Dinge zu tun? Grandmas Mutter hatte Agoraphobie, erinnerst du dich? Sie starrte durch ihre Spitzenvorhänge auf die Leute auf der Straße. Und Grandmas Schwester, du weißt doch, Helen, die hatte so viel Zeug in ihrem Haus gesammelt, dass
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