Rose der Prärie
wollte. Selbst wenn das bedeutete, dass sie ihr alles wegnehmen würde, was ihr vertraut war. Dabei hatte sie doch nichts mehr außer ihren Erinnerungen! Es wäre für Maggie doch ein Leichtes, in diesem einen Punkt nachzugeben, oder?
„Todd und ich werden heute unser Bett aufbauen. Wenn wir die Möbel umräumen, finden wir bestimmt auch einen guten Platz für den Tisch.“
„Ja.“ Todd schaute sich um. „Wo ist die Bibel?“
„Auf Mas Kopfkissen. Sie hat vorhin darin gelesen.“
Das war eine Lüge – aber nicht Maggie, sondern sie hatte gelogen. Seit ihrem Anfall konnte Helga nicht mehr lesen. Alle Buchstaben sahen aus wie Hieroglyphen. Sie machten einfach keinen Sinn mehr. Nachdem sie ihren ersten Mann verloren hatte, während ihrer zweiten unglücklichen Ehe und dann in den Jahren mit Arletta war die Heilige Schrift immer ein Trost für sie gewesen. Immer wieder hatte sie darin gelesen. Aber sie war nie gut im Auswendiglernen gewesen. Erst jetzt merkte sie, was das für sie bedeutete. Es war schon schlimm genug, dass sie nicht laufen oder für sich sorgen konnte. Sie wollte auf keinen Fall, dass noch jemand merkte, dass sie sogar nicht mehr lesen konnte. Wenn Maggie ihr also die Bibel zum Lesen anbot, nahm sie sie immer an. Manchmal blätterte sie sogar um.
Ihre Schuldgefühle wegen der Lüge machten sie ärgerlich. „Sag mir nicht, wo die Bibel ist. Hol sie einfach!“
„Ich würde die Bibel gerne holen, Todd“, sagte Maggie, „doch Mas Rollstuhl steht so, dass ich meinen Stuhl nicht bewegen kann. Ich sitze hier fest. Sobald du Ma zurechtgerückt hast –“
„Zurechtgerückt! Ich bin doch kein ungezogenes Kind, das eine Strafe verdient hat.“
Todd trat hinter seine Mutter, sagte aber nichts. Ein kurzer Ruck, dann hatte er sie wieder dicht an den Tisch geschoben. „So.“ Er bedeutete Maggie dennoch, sitzen zu bleiben und holte die Bibel selbst.
Wieder eine Erinnerung daran, dass ich allen im Weg bin.
Das dumme Ding von einer Schwiegertochter nahm jetzt auch noch ihre Hand. „Ma, ich wollte dich nicht verletzen. Der Rollstuhl stand nur schief, und mein Mann hat das wieder in Ordnung gebracht.“
Mein Mann . Nicht „Todd“ oder „dein Sohn“. Wie eine Elster plapperte sie einfach weiter. „Wir werden Wege finden, damit hier alles klappt. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um dir zu helfen, dass du wieder dahin kommst, wo du vor deiner Erkrankung warst.“
Als sie anfing zu zittern, wusste Helga nicht, ob das ihr Ärger oder ihre Angst war. Es war offenbar noch nicht genug, dass sie von ihrem angestammten Platz an ihrem Tisch verdrängt wurde. Jetzt sagte man ihr auch noch, dass sie im Haus ihres Sohnes nicht willkommen war!
„Wo wir gerade davon sprechen: Ich brauche ein schönes, dickes, rundes Stück Holz, Todd. Ungefähr zwei Zentimeter breit und so lang.“ Mit den Händen maß sie ungefähr einen halben Meter ab.
Todd zog die Augenbrauen zusammen. „Holz ist teuer.“
„Das Seil habe ich schon. In der Scheune habe ich Nägel gefunden. Damit kann ich das Holz über Mas Bett hängen und ein Seil daran befestigen, sodass Ma sich selbst hochziehen und aufsetzen kann.“
„Nein!“ Helga packte ihren Sohn am Arm. „Diese Stange über dem Bett – das wäre eine Strafe! Heute Morgen hat sie mich auch schon allein gelassen, bis ich es nicht mehr ausgehalten habe und –“ Unfähig den Satz zu beenden, fing sie laut an zu weinen und schüttelte den Kopf. „Ich konnte nicht anders. Es hat meinen Stolz verletzt – aber es war sonst keiner da. Doch diese Stange über dem Kopfende – wie sieht das denn aus? Jeder, der uns besuchen kommt, wird sie sehen.“ Immer wieder wischte sich Helga ärgerlich mit der gesunden Hand über die Wangen, um die Tränen zu verbergen, aber sie konnte einfach nicht aufhören zu weinen. „Sie weiß, dass es ihre Schuld war, und sie versucht die Wahrheit vor dir zu verbergen – aber warte nur ab! Schon bald wird die Bettwäsche gewaschen werden.“
„Die Wäsche habe ich sogar schon aufgesetzt. Ich sollte mal nach ihr schauen.“ Maggie schob ihren Stuhl zurück und ging hinaus.
Todd hielt die Augen fest auf seine Tasse gerichtet und strich langsam mit dem Daumen über den Griff. „Als wir noch in den Ozarks bei ihrer Familie waren, hat Margaret mir diese Tatsache verschwiegen – dass du ins Bett machst. Im Zug ist meine Frau in der Nacht und früh am Morgen aufgestanden, um dir eine peinliche Situation zu ersparen.“ Weder sein
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