Rose Harbor und der Traum von Glueck
Film, der sich nicht anhalten ließ. Trotz seiner guten Vorsätze war die Begegnung noch schlechter verlaufen, als er es sich ausgemalt hatte.
Irgendwie kam es ihm vor, als würde der Mann ihn noch mehr verabscheuen als früher. Was vermutlich an der einfachen Tatsache lag, dass er, der ungeliebte Stiefsohn, lebte, während Dylan, sein Ein und Alles, sein Fleisch und Blut so jung hatte sterben müssen.
Das Frühstück stand schon auf dem Tisch, als Josh die Treppe hinunterkam. Jo Marie begrüßte ihn mit einem freundlichen » Guten Morgen « , und ihre ungekünstelte Fröhlichkeit trug sogleich dazu bei, seine Stimmung aufzuhellen. Obwohl er, wie sie sagte, ihr erster Gast war, schien sie die geborene Gastgeberin zu sein: effizient und fürsorglich, dabei ohne jede Aufdringlichkeit.
Josh erwiderte ihren Gruß, bevor er sich an den gedeckten Frühstückstisch setzte, und schaute sich um. Der Raum war in helles Sonnenlicht getaucht, als spiegele er Jo Maries Begeisterung über den neuen Tag wider. In jeder Hinsicht eine willkommene Abwechslung zu der gestrigen Tristesse. Seine Mutter war auch ein solcher Mensch gewesen, hatte ihn manchmal morgens mit einem Lied geweckt, um ihm das Aufstehen zu erleichtern. Die Erinnerung entlockte ihm ein Grinsen. Damals hatte ihn ihre gute Laune geärgert, sodass er sich meist demonstrativ unter den Kissen versteckte.
Richard dagegen war ein Morgenmuffel. Er stand so spät wie möglich auf, nahm sein Frühstück eilig im Stehen ein, bevor er zur Hintertür hinausstürmte. Eines allerdings vergaß er nie, egal wie spät er dran sein mochte – er nahm sich immer die Zeit, Teresa einen Abschiedskuss zu geben. Manchmal so innig, dass Josh den Blick abwenden musste. Ja, sein Stiefvater war damals zweifellos ein glücklicherer Mann gewesen. Und solange seine Mutter lebte, kamen sie beide zumindest einigermaßen miteinander klar.
Als er Schritte hinter sich hörte, blickte Josh über seine Schulter zurück und entdeckte eine Frau etwa in seinem Alter. Der neue Gast, von dem Jo Marie gesprochen hatte. Sie sah ungefähr so aus, wie er sich fühlte – hielt den Blick gesenkt und lächelte bloß angestrengt, als Jo Marie sie begrüßte. Ihn schien sie erst zu bemerken, als sie am Tisch Platz nahm, und zudem wirkte sie merkwürdig überrascht.
» Morgen « , brummte er kurz, da ihm nach einer ausgiebigen Konversation nicht unbedingt der Sinn stand.
» Morgen « , erwiderte sie ebenso widerstrebend.
» Joshua Weaver, Abby Kincaid « , stellte Jo Marie, die gerade mit einem Krug Orangensaft in den Frühstücksraum trat, ihre Gäste einander vor, ohne dass diese darauf reagierten.
Josh betrachtete stattdessen angelegentlich den reich gedeckten Tisch, auf dem neben einer Auflaufform eine Platte mit knusprigem Schinken, ein Teller mit gebuttertem Toast sowie Schälchen mit Marmelade und Gelee standen, außerdem frisch gebackene Muffins.
» Orangensaft? « , fragte Jo Marie.
» Bitte. «
» Für mich nicht, danke « , lehnte Abby ab.
Jetzt erst bemerkte Josh, wie ausgehungert er war. Am Tag zuvor hatte er nach dem ausgedehnten Lunch mit Michelle das Abendessen ausfallen lassen. Sie hatten fast drei Stunden lang im Pancake Palace gesessen und über Gott und die Welt gesprochen, nur nicht über Richard. Sein Stolz gestattete es ihm nicht zuzugeben, wie sehr sein Stiefvater ihn aus der Fassung gebracht hatte.
Nachdem er Michelle beim Haus ihrer Eltern abgesetzt hatte, war Josh ein paar Stunden lang in der Gegend herumgefahren, um sich von Neuem mit der Stadt und ihrer näheren Umgebung vertraut zu machen. Cedar Cove war immerhin die einzige Heimat, die er je hatte, und es war ein eigenartiges Gefühl, wieder hier zu sein.
Und bald würde auch die letzte Verbindung wegfallen, denn Michelle hatte nicht übertrieben, was Richards Zustand betraf. Zweifellos würde sein Stiefvater in nicht allzu ferner Zukunft sterben, und so seltsam es sein mochte, berührte ihn der Gedanke. Er empfand einen Anflug von Trauer, und sei es auch nur, weil mit dem unleidlichen Alten eine Ära zu Ende ging. Wenn er noch irgendetwas mit Richard klären wollte, dann musste er es bald tun.
Zwar hatte sein Stiefvater ihn nie besonders nett behandelt, aber er war eine feste Größe in seiner Kindheit und Jugend gewesen. An seinen leiblichen Vater konnte er sich kaum erinnern, wusste nur, dass er Alkoholiker gewesen war und seine Familie einfach verlassen hatte. Da war Josh fünf. Ein paar Jahre blieben sie allein, bis
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