Rose Harbor und der Traum von Glueck
anzuhören, und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen. Besser er ging, bevor es zu einer unschönen Auseinandersetzung kam. Sein Stiefvater und er konnten sich offenbar nicht im selben Raum aufhalten. Wieder in Cedar Cove zu sein, war um einiges schlimmer als erwartet.
» Wo willst du hin? « , rief Richard ihm nach.
Josh überhörte die Frage und stieg die Treppe zu seinem früheren Zimmer hoch. Das Geräusch von Schritten hinter ihm zeigte, dass Michelle ihm folgte.
» Josh? «
Michelle holte ihn ein, als er gerade den kleinen Raum betreten wollte.
Er holte tief Luft, um zur Ruhe zu kommen und seinen Zorn, der ihn selbst erschreckte, niederzukämpfen. Diese ganze Reise glich einer Fahrt auf einer emotionalen Achterbahn. Josh fiel es schwer, mit diesem ständigen Auf und Ab umzugehen. Sein Herz klopfte wie wild.
» Tut mir leid. « Er drehte sich zu ihr um und legte ihr die Hände auf die Schultern. » Ich weiß nicht, wieso – aber Richard hat etwas an sich, das mich prompt zur Weißglut bringt. Dabei war ich fest entschlossen, mich nicht provozieren zu lassen. «
» Es ist eine heikle Situation « , meinte sie. » Ich verstehe das vollkommen. «
Josh schob die Hände in die Taschen. Sie hatte recht, es war eine heikle Situation. Und mehr als das.
» Wenn du willst, frage ich Richard, ob ich in seinem Schlafzimmer nach der Kamee deiner Mutter suchen darf. «
Josh schüttelte den Kopf. » Es scheint mir besser zu warten. «
» Du meinst … «
Sie musste den Satz nicht beenden – Josh wusste auch so, worauf sie anspielte.
» Genau « , bestätigte er. Er würde mit der Suche nach der Kamee bis nach Richards Tod warten, und dann konnte er bloß hoffen, dass er sie fand. Wie auch immer: Wozu den alten Mann noch mehr aufregen, als er es ohnehin schon getan hatte?
» Das also war dein Zimmer? « , fragte Michelle und schaute sich in dem schmalen Gang um.
» Ja, und gegenüber das von Dylan und dort am Ende des Flurs befindet sich noch ein Bad, das wir uns damals teilten. «
Elternschlafzimmer und das größere Bad befanden sich unten. Im Nachhinein eine praktische Anordnung, denn jetzt hätte Richard nicht mehr in den ersten Stock steigen können. Josh bezweifelte allerdings, dass solche Überlegungen beim Kauf des Hauses bereits eine Rolle gespielt hatten.
Er stieß die Tür zu seinem alten Zimmer auf. Es sah genauso aus wie zu seiner Highschoolzeit. Selbst die Tagesdecke war noch dieselbe wie damals, als er den Raum für immer verließ.
Er ging zu der Kommode mit dem Spiegel darüber und zog die oberste Schublade auf. Statt seiner zurückgelassenen T-Shirts fand er dort wahllos ein paar Socken und Unterwäsche. Josh runzelte die Stirn. Irgendjemand hatte in seinen Sachen gekramt und sie am Ende falsch eingeräumt.
» Willst du davon etwas mitnehmen? « , fragte Michelle.
Josh schüttelte den Kopf. » Ich denke, ich bin altersmäßig aus diesen Klamotten herausgewachsen, und gebe es lieber der Wohlfahrt. Bis auf … « Er unterbrach sich und lächelte Michelle an. » Bis auf meine Letterman-Jacke, die will ich zur Erinnerung behalten. «
Er hatte sie in seinem letzten Highschooljahr für einen Sieg in einem Laufwettbewerb errungen und war schrecklich stolz auf dieses bei Jugendlichen begehrte Stück gewesen.
» Wo ist sie denn? « , fragte Michelle neugierig.
Sie hatte kein Schulsportereignis versäumt, auch keines seiner Rennen. Josh erinnerte sich gut, wie sie das Team von der Seitenlinie aus immer begeistert angefeuert hatte. Ein paarmal hatten ihre Eltern ihn im Auto mit nach Hause genommen. Zu der Zeit, als seine Mutter bereits zu krank war, um ihn zu begleiten. Richard hatte sich nie für seinen Stiefsohn verantwortlich gefühlt. Wenn Teresa sich nicht kümmern konnte, musste Josh zusehen, wo er blieb.
Er öffnete den Kleiderschrank, in dem noch ein paar Hemden und eine feinere Hose hingen, die er zuletzt bei der Beerdigung seiner Mutter getragen hatte.
Und dann sah er seine Letterman-Jacke.
» Oh Josh. «
Michelle schlug entsetzt eine Hand vor den Mund. Jemand hatte die Ärmel mit einer Rasierklinge aufgeschlitzt und wie wild auf das Leder eingehackt.
Jemand?
Der Kreis der Verdächtigen ließ sich im Bruchteil einer Sekunde auf einen einzigen Menschen reduzieren.
Richard.
Es konnte nur Richard gewesen sein. Einen Moment lang sah Josh rot. Die Krankheit seines Stiefvaters war ihm egal – zumindest stellte sie keine Entschuldigung dar für eine derart blinde Zerstörungswut,
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