Rosehill 01 - Die Tochter des Lords
müsste Robert mit seiner Familie eingetroffen sein.«
»Tante Lillian, du hast noch einen anderen Bruder namens Daniel erwähnt. Wird er uns auch besuchen?«
»Vorerst nicht. Er verbringt gerade mit seiner Familie die Ferien in Südfrankreich. In ein oder zwei Wochen kommen sie nach Hause. Dann wirst du die beiden kennen lernen. Seine Frau heißt Johanna, und sie haben drei Kinder, lauter nette Jungen. Schlaf jetzt, Victoria. Ich schicke Ann Marie herauf, sie wird dir helfen.«
Mary Rose fragte nicht, warum sie die Hilfe eines Dienstmädchens brauchte, wenn sie sich ausruhte. Sonst hätte Lillian sie nur wieder impertinent gefunden. Auch dem Vorschlag, mindestens eine Stunde lang zu schlafen, widersprach sie nicht, obwohl sie keine Ahnung hatte, wieso man sich mitten am Tag ins Bett legte. Sie war kein bisschen müde, aber ziemlich verstört. So viele Namen musste sie sich merken, so viele Regeln befolgen.
Um Himmels willen, wie sollte sie all diese Erwartungen erfüllen? Nun, sie war noch nie einer Herausforderung ausgewichen, und sie würde es auch diesmal nicht tun. So gut sie es vermochte, wollte sie den Wünschen ihrer Verwandten entsprechen.
Ann Marie betrat das Zimmer, half ihr aus dem Kleid und schlug die Bettdecke zurück. Dann zog sie die Vorhänge zu. Also sollte Mary Rose tatsächlich schlafen. Nur mit ihrem Unterhemd bekleidet, streckte sie sich auf ihrem Bett aus und bewunderte das geräumige Zimmer, in dem warme goldgelbe Farben dominierten.
Mit der Zeit beruhigten sich ihre Nerven, und sie schaute nachdenklich zur Decke hinauf. Was für ein freundlicher Mann ihr Vater war … Sein Lächeln und seine Stimme gefielen ihr. Er sprach in sanftem und trotzdem gebieterischem Ton. Wenn sie ihren Brüdern schrieb, würde sie versichern, Lord Elliott sei ein sehr netter, gütiger Mensch.
Wenige Minuten später kam Harrison herein. »Wie halsstarrig dein Vater ist! Mit aller Macht will er deinen Brüdern das Geld zurückschicken, obwohl ich ihm mehrmals versichert habe, es handle sich um eine Summe, die ihm damals vermutlich gestohlen wurde. Damit möchte er die Claybornes für deinen Lebensunterhalt entschädigen, den sie in all den Jahren bestreiten mussten.«
Mary Rose drehte sich auf die Seite und schaute ihn an. »Als ich meine Brüder erwähnte, wirkte er irgendwie traurig und enttäuscht.«
»Natürlich muss er sich erst an den Gedanken gewöhnen, dass du noch eine andere Familie hast.«
»Morgen soll ich von zwei Ärzten untersucht werden. Wusstest du das?«
Harrison schlüpfte aus seinem Jackett, warf es über einen Stuhl, dann setzte er sich auf den Bettrand, um seine Schuhe und Socken auszuziehen. »Ja, dein Vater hat es erwähnt.«
»Und warum muss ich untersucht werden? Ich fühle mich großartig!«
»Offenbar möchte sich dein Vater vergewissern, und es kann nicht schaden, oder?«
»Nach meiner Ansicht ist das reine Geldverschwendung, aber wenn’s unbedingt sein muss … Du hast mich noch gar nicht gefragt, was ich von meinem Vater halte. Bist du nicht neugierig?«
Lächelnd wandte er sich zu ihr. »Ich weiß schon, was du denkst, weil ich beobachten konnte, wie du ihn ansahst. Schon jetzt magst du ihn, und ich glaube, bald wirst du ihn lieben lernen.«
Sie nickte. »So wie eine Tochter ihren Vater lieben sollte. Aber kann ich ihm trauen?«
»Natürlich. Und mir auch. Das weißt du.«
Darüber wollte sie nicht reden, und sie versuchte das Thema zu wechseln, doch das ließ er nicht zu.
»Liebe und Vertrauen gehen Hand in Hand, Mary Rose. Wenn du mir nicht vertraust, liebst du mich nicht. Und du liebst mich doch?«
Weil dieses Problem sie immer noch quälte, blieb sie ihm die Antwort schuldig. Immerhin hatte er sie belogen und tief gekränkt. Sie verstand, warum er seine Beweggründe nicht sofort nach seiner Ankunft auf Rosehill enthüllt hatte. Doch sie fand, in jener ersten Liebesnacht wäre er verpflichtet gewesen, ihr die Wahrheit zu verraten. Er hatte weiterhin geschwiegen, und das nahm sie ihm übel, wenn sie auch teilweise seine Erklärung akzeptierte, es sei die Aufgabe ihrer Brüder gewesen, ihr von Lord Elliott zu erzählen.
So oder so, er hatte sie hintergangen, und sie fürchtete, dies könnte wieder geschehen. Nun musste schrittweise ein neues Vertrauen zwischen ihnen aufgebaut werden. Und Harrison blieb nichts anderes übrig, als sich zu gedulden, bis sie ihre Angst überwand. »Ich bin noch nicht bereit, mit dir darüber zu sprechen. Gib mir noch etwas Zeit …
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