Rosehill 01 - Die Tochter des Lords
die sich ihre Verwandten in England wünschten, konnte sie nicht sein. Verstand er das denn nicht? O Gott, während der Trennung hatte sie sich elend gefühlt, dem Tod nah. Und seit er seelenruhig in den Gerichtssaal geschlendert war, lebte sie wieder.
Ehe er sich zur Familie gesellte, hörte Mary Rose ihn die Treppe hinaufsteigen. Eine Tür knarrte. Suchte er ihr Schlafzimmer? Hieß das, dass er bei ihr bleiben wollte? Wenig später erschien er im Speisezimmer. »Adam, wir müssen unter vier Augen miteinander reden – am besten in der Bibliothek«, erklärte er, ohne seiner Frau einen Blick zu gönnen.
»Meine Brüder und meine Schwester wissen alles«, entgegnete Adam.
»Trotzdem.«
Niemand störte die beiden, während sie zwei Stunden lang beisammensaßen. Harrison bestand auf einem detaillierten Bericht, und Adam erzählte alles, woran er sich erinnerte – von seinem Leben auf der Plantage, von der Familie des Besitzers.
»Also, Mistress Livonia war mit Walter Adderley verheiratet, und sie hatten zwei Söhne. Die beiden hast du heute vor Gericht gesehen. Reginald ist zwei Jahre jünger als ich, Lionel der ältere – seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Schon zu Mittag fing Walter zu trinken an, und abends musste er ins Bett getragen werden. Wenn er sternhagelvoll war, wurde er richtig gemein. Er fing Streit mit seiner Frau an. Zwischen den beiden musste irgendwas geschehen sein, denn wenn er angetrunken war, ertrug er ihren Anblick nicht.«
»Hat er sie geschlagen?«
»O ja, mit beiden Fäusten. Natürlich war ihm diese zierliche, kleine Frau nicht gewachsen. Auch meine Mama schlug er. Sie war Livonias Gesellschafterin und wurde genauso grausam misshandelt wie ihre Herrin. An einem späten Freitagnachmittag kam ich von den Feldern zurück, und als ich am Haus vorbeiging, hörte ich Mistress Livonia schreien. Wieder einmal verprügelte Adderley beide Frauen. Ich rannte hinein, stellte mich zwischen Livonia und meinen Eigentümer und hoffte, er würde seinen Zorn gegen mich richten und die beiden verschonen. Noch heute sehe ich’s ganz deutlich vor mir, wie Mamas Nase blutete, und ein Auge war fast zugeschwollen. Seine Frau hatte er noch schlimmer zugerichtet. Brutal stieß er sie zu Boden, und sie flehte ihn an, doch endlich aufzuhören. Aber er trat sie mit aller Kraft. Da bat sie mich um Hilfe – und ich half ihr …« Bevor Adam weitersprach, holte er tief Atem. »Ich schlang meine Arme um Adderleys Taille und zerrte ihn nach hinten, während Mama zu Livonia rannte und ihr auf die Beine half. Da verlor er vollends den Verstand. Er schrie, er würde Livonia töten, schüttelte mich ab und warf sich auf sie. Und da schlug ich ihn. Er taumelte nach hinten, wollte mich angreifen, aber er kam aus dem Gleichgewicht und strauchelte. Sein Kopf prallte gegen das Kaminsims. Wahrscheinlich war er schon tot, bevor er am Boden landete.«
»Wo hast du ihn getroffen?«
»Am Kinn.«
»Nicht am Hinterkopf? Er hat sich doch von dir abgewandt …«
»Ja, aber ich war schneller und sprang wieder zwischen Adderley und Mistress Livonia, um sie zu beschützen. Und bevor er sie packen konnte, rammte ich ihm die Faust aufs Kinn.«
»Was geschah dann?«
»Mistress Livonia gab mir Geld und beschwor mich, die Flucht zu ergreifen. Der Polizei wollte sie erzählen, ich sei verkauft worden. Später schrieb mir Mama, Livonia habe ausgesagt, Adderley sei infolge eines Unfalls gestorben. Mein Fausthieb wurde nicht erwähnt, denn er hätte dem Mann ohnehin nicht schaden können. Damals war ich erst dreizehn und längst nicht so stark wie jetzt; im ganzen Staat wusste man, was für ein schrecklicher Trunkenbold Adderley gewesen war, und so zweifelte niemand an Livonias Behauptung.«
»Hat sonst noch jemand gesehen, was passiert ist?«
»Nein.«
»Und warum sind Livonias Söhne ausgerechnet jetzt hinter dir her? Was für Beweise haben sie?«
»Die Briefe, die ich meiner Mama schrieb. Sie hob sie alle auf. Adderleys Söhne müssen sie gefunden haben. Ein paarmal erwähnte ich die Vergangenheit und gestand Mama, ich hätte Angst um sie.«
Harrison seufzte müde. »Jedenfalls bist du unschuldig, Adam.«
»Damals war ich ein Sklave, und ich wagte es, Hand gegen meinen Besitzer zu erheben. Seine Söhne glauben, allein schon deshalb müsste ich am Galgen baumeln.«
»Meinst du, sie haben Ihre Mutter gezwungen, die Wahrheit zu erzählen?«
»O ja. Reginald gerät ganz nach seinem Vater. Und Mama schreibt mir immer
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