Rosen des Lebens
Gemeindeversammlung stark dem Kronrat Seiner Majestät. Hier
wie dort war keiner bereit, einer gemeinnützigen Maßnahme zuzustimmen, sobald es um ihre Durchführung ging, und so wurde denn
gar nichts getan, die Dinge versackten wieder im altgewohnten Schlamm.
Besonders das Argument, das sich auf die Trägheit des seligen Grafen von Orbieu stützte, diente dazu, alles beim alten zu
lassen, und leise bat ich den Pfarrer Séraphin, es anzufechten.
Ob die Absicht, die Séraphin nun dem seligen Herrn Grafen unterschob, wahr oder aus dem Stegreif erfunden war, weiß ich nicht,
jedenfalls vertrat er sie mit aller Entschiedenheit.
»Täuscht euch ja nicht, meine Freunde!« sagte er. »Der selige Herr Graf hat mehr als einmal daran gedacht, die Wege zu reparieren.
Er ist nur nicht dazu gekommen, weil er keine Zeit hatte. Aber vorgehabt hat er es, das weiß ich sicher.«
Nachher sagte mir Séraphin, daß er selbst sich seit langem wünschte, er müßte sich auf dem Weg vom Pfarrhaus zur Kirche und
von der Kirche zum Friedhof nicht immer wieder bis an die Knie eindrecken, aber die Wege begehbar zu machen, das habe er seiner
Herde nie abringen können.
Wie auch immer, sein Einwurf schien die Diskussion jedenfalls voranzubringen, wenn man nach dem darauffolgenden Hin und Her
der Stimmen urteilte und den lebhaften Beratungen |106| verschiedener Gruppen in den vier Ecken des Raumes. Die Unterstützung, die der selige Graf von Orbieu meinem Vorhaben übers
Grab hinaus gewährte, verlieh ihm offenbar einiges Gewicht. Und wie ich sah, ließ Séraphin, anstatt das Gemurmel abzubrechen,
das er in seiner Sakristei sonst nicht geduldet hätte, die Leute gewähren, als erwarte er sich davon ein glückliches Ergebnis.
Fünf volle Minuten verstrichen, bis Séraphin wieder das Wort ergriff und sagte, wenn jemand ihm Fragen stellen wolle, würde
er darauf antworten.
Der Stimmenlärm wurde stärker, noch einmal verging eine ganze Weile, bis ein Bauer aufstand, ein Mann von Gewicht und genügend
Ar, um sich und seine Familie gut zu ernähren. Als erstes zog er vor mir die Mütze, setzte sie wieder auf, zog sie vor Pfarrer
Séraphin und sprach, wie ich glaube, mir zu Ehren ein stark mit Platt durchsetztes Französisch.
»Herr Pfarrer«, sagte er, »der Haken bei der Sache ist nicht so sehr, daß unsereins nicht helfen will, die Wege in Ordnung
zu bringen, die haben es bitter nötig, aber dazu muß Geld her! Den Schotter zum Abdecken, den haben wir hier im Steinbruch
der Gemeinde. Den braucht man bloß zu holen. Aber Kantstein, den gibt es in der Grafschaft Orbieu wie auf meiner flachen Hand!
So. Aber ohne Kantstein geht es nicht, den braucht man für die versackten Strecken, und davon gibt es verdammt viele!«
»Fluche nicht, Mathurin«, sagte der Pfarrer.
»Ich tu’s nicht wieder, Herr Pfarrer«, sagte Mathurin und machte schnell eine reuige Miene, die aber auch ebenso schnell wieder
aus seinem Gesicht verschwand. »Kurz und gut, Herr Pfarrer«, fuhr er fort, das Auge starr auf Séraphin gerichtet, damit es
ja nicht zu mir abirre, »der ganze Haken an der Sache ist der Stein, weil, hier, wie gesagt, gibt’s den wie auf meiner flachen
Hand, der muß gekauft werden, und da frag ich: Wer soll das bezahlen?«
Ich stieß Monsieur de Saint-Clair mit dem Ellbogen an und raunte ihm ins Ohr: »Jetzt haben sie mich.« Daß Mathurin den wahren
Grund der Sache genannt hatte, daran bestand kein Zweifel nach dem tiefen Schweigen, das dem beschriebenen Stimmenlärm folgte.
Man hätte eine Fliege fliegen hören, wäre es Fliegenzeit gewesen. Und nicht, daß man nun mich anblickte oder Séraphin, von
dem man allerdings auch keine Antwort |107| erwartete, nein, aller Augen starrten hartnäckig auf die ausgetretenen Fliesen der Sakristei, als stünde dort geschrieben,
wie ich mich festlegen würde.
Ich muß gestehen, daß ich die Ironie der Situation nicht ohne Kneipen im Bauch auskostete: Da war ich gekommen, um meine Leute
in die Zange zu nehmen, und nun hatten sie mich am Wickel. Auf welche Summen ließ ich mich ein, wenn ich diese Steine bezahlte?
Überhaupt, mich so Hals über Kopf festzulegen, ohne Berechnung, ohne Prüfung, blind sozusagen, das behagte mir wenig. Andererseits
durfte man dieses lauernde und verschlagene Schweigen nicht verkennen. Wenn ich jetzt nicht Nägel mit Köpfen machte, konnte
ich den Wegebau auf meinem Gut begraben. Und hatte ich, wie sie genau wußten, daran nicht
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