Rosen des Lebens
man sein und klug und umsichtig.
Übrigens, Herr Sohn, da Ihr anscheinend gesonnen seid, die Frauen anzustellen, sollte man vorher nicht den Herrn Pfarrer fragen,
was er davon hält?«
»Und wenn er dagegen ist?«
»Das wird er nicht. Er hofft ja, daß Ihr ihm das Kirchendach repariert. Habt Ihr das ernstlich vor?«
»Ich erwäge es, aber offen gestanden macht es mich wütend, für das Bistum einspringen zu müssen. Wozu gibt es den Zehnten,
wenn man nicht mal die Stätten des Kults erhalten kann?«
»Zum Erhalt von Charlotten«, sagte La Surie.
»Miroul!« ermahnte ihn mein Vater, dem diese Anspielung auf meinen Halbbruder, den Erzbischof von Reims, weniger gefiel. »Vielleicht«,
fuhr er fort, »bietet Ihr dem Pfarrer an, daß Ihr das Material stellt und das Dorf die Arbeit. Unter den Dörflern muß es doch
gute Handwerker geben.«
Unser Gespräch fand beim Mittagsmahl statt, und sowie der letzte Bissen verzehrt war, bat ich meinen Vater um die Erlaubnis,
mich zurückzuziehen.
»Wollt Ihr jetzt schon zum Louvre?« fragte er.
»Der Graf will doch nicht zum Louvre«, sagte La Surie, der vom Fenster aus gesehen hatte, daß eine anonyme Mietkutsche in
unseren Hof eingefahren war, die mich unerkannt in die Rue des Bourbons bringen sollte. »So ein Jammer«, spöttelte er, »da
hat man eine schöne Karosse, aber man läßt sie stehen und rumpelt lieber in einem armseligen Kasten durch die Gassen.«
»Was kommt es auf die Kutsche an«, sagte mein Vater, der mir den Arm um die Schultern legte und mich zum Hof hinunter geleitete.
»Das Wichtigste ist das Ziel, und ein bißchen Geheimnis erhöht das Prickeln unterwegs.«
Auf der Treppe kam uns Louison entgegen, und als sie uns auswich, traf mich ihr beklommener Blick. Offenbar hatte auch sie
die Mietdroschke im Hof gesehen. Mich zwickte dieser Blick, so kurz er war, ins Herz. Da wechselte ich seit meiner ersten
Reise nach Orbieu wie ein Freibeuter von einer Frau zur anderen, ohne aber den dazu gehörigen Zynismus zu besitzen. Im Gegenteil,
ich fühlte mich ebenso schändlich vor meiner Soubrette wie vor meiner hohen Dame.
Als das Kutschentor des Hôtel des Bourbons aufging, empfing |113| mich Herr von Beck mit tiefem Respekt und tadelloser Höflichkeit, doch mit einem Anflug von Mißbilligung. Und als ich fragte,
wie es seiner Herrin gehe, antwortete er ziemlich widerstrebend, sie sei zu Bett.
»Aber«, sagte ich, »Frau von Lichtenberg ist doch nicht krank?«
»Nein, Herr Graf, ich glaube nicht«, antwortete er leicht verlegen.
Was ja wohl besagte, daß er in diesem Zubettsein seiner Herrin eine Art, die Etappen zu überspringen, sah, die sein Anstandsgefühl
verletzte.
Sowie ich aber den Grund seiner Mißstimmung begriff – vielleicht eine gewisse Eifersucht, die er als beflissener Diener hinterm
Schleier der Moral sich selbst verhehlte –, wuchsen mir Flügel. Im Laufschritt eilte ich die Treppe zur Beletage hinan, klopfte
und trat ein, ohne das »Herein!« meiner Schönen abzuwarten, und legte auch gleich den Riegel vor. Die Bettvorhänge waren geschlossen,
doch sie erbebten.
»Madame«, sagte ich atemlos, »ich bitte tausendmal um Vergebung, daß ich ein wenig zu spät komme, das Essen bei meinem Vater
zog sich etwas hin.«
»Bitte, Pierre«, hörte ich die erstickte Stimme meiner Gräfin hinter den Vorhängen, »reden Sie nicht! Ziehen Sie sich rasch
aus und kommen Sie zu mir.«
***
»Monsieur, auf zwei Worte, bitte!«
»Doch zuvor eine Frage, Madame: Kennen Sie Prag?«
»Nein, Monsieur.«
»Wie schade, Madame! Prag ist die Hauptstadt des Böhmerlandes, aus dem das feinstgeschliffene Kristall kommt. Aber es ist
auch eine der schönsten und anmutigsten Städte Europas. Mir fehlen die Worte, seine Schönheit zu preisen, angefangen mit dem
Hradschin …«
»Dem, wie bitte?«
»Dem Hradschin. Das Tschechische, Madame, ist eine für Nichttschechen unaussprechliche Sprache. Der Hradschin ist die Prager
Burg, mächtig auf einem Hügel über der Stadt gelagert, mit Spitztürmen von seltener Eleganz. Darunter staffeln |114| sich die Kirchen und Paläste eines wunderbar schönen alten Viertels,
Mala Strana
geheißen
.
Spüren Sie das Zauberische und Geheimnisvolle dieser magischen Silben, Madame? Die Mala Strana erstreckt sich am linken Ufer
der Moldau, und um auf das rechte Ufer zu gelangen, überquert man die Karlsbrücke, ebenfalls ein Wunderwerk, Madame, ich würde
sogar sagen, einmalig auf der
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