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Rosen des Lebens

Rosen des Lebens

Titel: Rosen des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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war. Déagéant besaß große Fähigkeiten.
     Er wußte unendlich viel, erfaßte jedes Problem mit durchdringendem Scharfsinn und bewies, seit Ludwig ihn zum Finanzverwalter
     und Mitglied des Kronrats ernannt hatte, daß er von den Regierungsgeschäften mehr als alle anderen verstand, daß er Lösungen
     fand und keine Mühe scheute, sie durchzusetzen.
    Noch war er nicht auf dem Gipfel der Macht, den er anstrebte, aber ihm sehr nahe. Er durfte hoffen, beim Tod des gebrechlichen
     alten Präsidenten Jeannin in die Oberfinanzverwaltung aufzurücken und seine Position als Staatssekretär einzunehmen. Bestimmt
     würde er ein großer Minister werden, der König schätzte ihn, und Luynes war auf seine Dienste angewiesen. Denn ein Vogelsteller,
     der Luynes ja einmal war, kann sehr geschickt darin sein, Vögel zu fangen und abzurichten, ja er kann sogar die Liebe eines
     von seiner herzlosen Mutter zurückgestoßenen jungen Königs gewinnen. Dazu muß er aber nicht die Gaben besitzen, die ein Politiker
     braucht. Immerhin, um den Kopf über Wasser zu behalten und bei politischen Entscheidungen eine Rolle zu spielen oder wenigstens
     so zu tun als ob, war er klug genug, sich der Hilfe und des Rates so fähiger Leute wie Déagéant zu versichern.
    |104| Kurz, als ich Déagéant nun auf der großen Treppe im Louvre begegnete, sah ich ihn im doppelten Sinne aufsteigen. Und unverblümt,
     wie er war, beantwortete er meine Frage ohne Schonung für nichts und niemand.
    »Richelieu«, sagte er, »behauptet, er mäßige die Königinmutter und wirke zur Versöhnung von Mutter und Sohn. Wenn ihm das
     gelingt, kehrt sie zurück nach Paris. In Wahrheit arbeitet der Fuchs aber nicht für sie, sondern für sich. Denn sobald er
     mit dem Gepäck der Medici wieder in den Louvre gelangen sollte, bringt sie ihn in den Kronrat des Königs. Und ist er erst
     da drin, wird dieser Teufel, geistvoll, verschlagen und ehrgeizig, wie er ist, alles an sich reißen. Darum sage ich Euch ganz
     unverhohlen«, fuhr er erregt fort, »eher will ich untergehen als zulassen, daß die Königinmutter zum König zurückkehrt!«
    Ich betrachtete den kleinen Mann, wie er voll Eifer so zu mir sprach, sein kantiges Gesicht mit der galligen Farbe, seine
     kurzgehaltenen Haare, seine durchdringenden schwarzen Augen, und ich erkannte klar: Was scherte es ihn, eine Gefahr vom Reich
     abzuwenden? Er fürchtete nur eins: Richelieu im Kronrat, den mächtigen Rivalen, der seine eigenen Pläne zunichte machen würde.
     Meine Wertschätzung für ihn sank. Er sah die Dinge zu eigensüchtig. Wäre ich nicht so glücklich beschäftigt gewesen mit meinem
     neuen Besitztum, hätte ich mir, wie gesagt, um den Gang der Politik ernste Sorgen gemacht.
    ***
    Monsieur de Saint-Clair schrieb mir, es sei ihm trotz aller Bemühungen nicht gelungen, die Häusler und Bauern für die Instandsetzung
     der Wege auf meinem Gut zu gewinnen. Deshalb ging ich Ende März nach Orbieu und bestellte alle arbeitsfähigen Männer nach
     der Messe in die Sakristei des Pfarrers Séraphin. Ich redete lange auf sie ein, halb auf französisch, halb in Platt (das ich
     seit meinem Winterbesuch eifrig lernte), aber trotz meiner Erklärungen bewegten sich die Leute keinen Deut.
    Sie gaben wohl zu, daß es allen zugute käme, wenn die Karren nicht mehr im Schlamm versinken und so oft umstürzen würden bei
     der Heumahd, der Kornernte oder der Weinlese, mit all dem Ärger, all den Mühen und Verlusten, die das mit |105| sich brachte. Aber selbst Hand anzulegen, sogar bei Wegen durch ihr eigenes Land, das verweigerten sie unter den verschiedensten
     Ausreden.
    Der eine mußte seine Töpferwaren drehen, die er in Montfort verkaufte, der andere Hufeisen schmieden, mit denen er das Dorf
     und die Nachbarflecken belieferte, der dritte hatte seinen Hanf oder seine Wolle zu spinnen, etliche arbeiteten im Holz. Kurzum,
     diese winterlichen Nebengewerbe erlaubten ihnen, über die Runden zu kommen, und wer ihnen das verwehrte, nahm ihnen quasi
     das Brot vom Mund. Sicher waren die Wege schlecht, keine Frage, aber daran war man seit eh und je gewöhnt, sollten sie bleiben,
     wie sie waren, viel schlechter konnten sie nicht mehr werden. Außerdem hätte der selige Herr Graf auch nie verlangt, daß man
     sie ausbesserte.
    Während ich meinen Untertanen zuhörte (denn ich verstand ihr Platt nun besser, als ich es sprach), sagte ich mir, wenn ich
     wirklich der König dieses kleinen Reiches war, dann ähnelte diese

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