Rosen für Apoll
während der Maler Aristeidos von Theben seine ersten großen »Heißspachtelbilder« schuf; während Praxiteles die unsterbliche knichsche Aphrodite meißelte; während sie alle, die Großen, am Weltgebäude und goldenen Thron des Geistes arbeiteten, verbrauchte das Allerweltspack von Politikern und »Amtsträgern« die letzte Substanz des Volkes.
Niemand schien mehr eine geschichtliche Lage als realen Faktor, als Zustand anzuerkennen, niemand mehr die Bestrebung eines anderen als gemeinsamen Ausgangspunkt zu akzeptieren, niemand gab dem Versuch eines anderen auch nur die geringste Möglichkeit eines friedlichen Beweises. Jeder wünschte einen geschichtlichen Auftrag nur durch sich selbst verwirklicht zu sehen. Dieses »Ja« mit dem Nachsatz »Aber nicht du, sondern ich« ist eine tödliche Einstellung in der Politik. Panhellenismus ja, aber nicht du, sondern ich. Paneuropa ja, aber nicht du, sondern ich. Bei keinem eine Berufung, bei keinem eine Idee. Alles nur letzte Kraftausbrüche, letztes Zucken unter den Augen des lauernden, von den Griechen nur noch nicht erkannten Bären aus dem Norden, der schon die Tatze hob. Auch Theben hatte, als es nun noch einmal Griechenland in einen Krieg stürzte, keinen Auftrag, und Epameinondas keine Idee. Denn es ist keine Idee, zu handeln wie ein Kellner, der auf jede Rechnung einen Posten »Geht’s?« dazurechnet. Das Unglück lag einfach in der Tatsache, daß Epameinondas Thebaner statt Spartaner war. Ein Napoleon aus Luxemburg statt aus Frankreich.
Machen wir es kurz. Der thebanische Aufstand galt zunächst der spartanischen Besatzung, dann aller Welt. Im August 371 schlug Epameinondas in der denkwürdigen Schlacht von Leuktra mit sechstausend Thebanern zehntausend Spartaner! Er hatte für seine Zeit den Stein der Weisen gefunden, die »schiefe Schlachtordnung«. Tausend Spartaner fielen, darunter alle Spartiaten. Es war ein Tag, der ganz Hellas aufrüttelte. Allen, außer den Thebanern, kam zum Bewußtsein, daß nun das schärfste Schwert Griechenlands zerbrochen, der stärkste schützende Arm niedergesunken war. Einen Augenblick herrschte ängstliche Stille, man horchte nach »draußen«.
Als die Welt nicht sichtbar einstürzte und kein neuer Xerxes an den Thermopylen erschien, brach der Radau im Hause Hellas sofort von neuem los. Die Ereignisse um Epameinondas überstürzten sich. Athen geriet ganz ins Hintertreffen, man sprach nur noch von Theben.
370 erschien Epameinondas vor Sparta!
Wie hatten die Spartaner einst gesagt? »Wir brauchen keine Mauern, unsere Jünglinge sind unsere Mauern.« Die Jünglinge lagen auf dem Schlachtfeld bei Leuktra.
Noch niemals in der fast tausendjährigen Geschichte der Dorer hatte ein Feind seinen Fuß nach Sparta gesetzt, noch niemals hatten die Frauen Spartas ein feindliches Schwert gesehen. Jetzt dröhnte die Eurotasebene wider vom Tritt der sechstausend Böotier. Leider haben wir von dem Kampf zwischen den thebanischen Hopliten und den spartanischen Greisen, alten Männern, Knaben und freigelassenen Sklaven, die sich um König Agesilaos scharten, keinen genauen Bericht. Um so geheimnisvoller wirkt auf uns, wie damals auf die Griechen — geheimnisvoll und voll archaischer Wucht — , die einfache Meldung vom Sieg der Spartaner.
Das nackte Leben, die Stadt waren gerettet; aber der Peloponnes brannte überall lichterloh. In Argos brach ein Pöbelaufstand aus, in dem der Mob mit Stangen, Knüppeln und Steinen jeden, der ihm nicht gefiel — und das waren weit über tausend — , erschlug. Die Heloten Messeniens standen auf. Arkadien, das stille Arkadien, geriet in Hysterie, überfiel Olympia während der Spiele 364 und raubte alle Tempel und Schatzhäuser aus. Die Athener plünderten den Cherso-nes, vergewaltigten unter Bruch ihres Eides die kleinen chal-kidischen Städte, besetzten sogar das große Samos und ent-eigneten es. Après nous le déluge — das war nicht mehr Griechenland.
Als Epameinondas acht Jahre später zum viertenmal in den Peloponnes einbrach, stellte sich Sparta (mit einigen Getreuen) noch einmal zum Kampf. In dieser Schlacht (362 bei Mantineia) fiel Epameinondas. Die Sinnlosigkeit des ganzen thebanischen Aufbruchs wurde offenbar: Der Spuk war zu Ende.
Für kurze Zeit herrschte Grabesruhe in Hellas. Die Griechen nannten es Frieden.
*
Das war der Augenblick, als der Bär aus dem Norden heruntergetappt kam. Er witterte die Beute, die fällig war; er folgte der roten Schweißspur, und als er aus dem Gebüsch
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