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Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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Giftbecher. Sokrates erkundigte sich ganz freundlich: >Also, mein Freund, du verstehst es ja, wie muß man es machen?< — >Nichts weiter<, sagte jener, >als, wenn du getrunken hast, herumgehen, so lange, bis dir die Schenkel schwer werden, und dann dich niederlegen, dann wird es schon wirken.< Damit reichte er dem Sokrates den Becher, und dieser nahm ihn, ohne im geringsten zu zittern, und sagte: »Was meinst du, darf man von diesem Trank jemandem eine Spende weihen?« — >Wir bereiten eben nur so viel, Sokrates<, antwortete der Wärter, >als wir glauben, daß hinreichend sein wird.< — >Ich verstehe«, sagte Sokrates. >Beten aber darf man doch zu den Göttern, und man muß es ja, daß die Wanderung von hier dorthin glücklich sein möge, weshalb denn auch ich hiermit bete.< Und als er dies gesagt, setzte er an und trank den Becher leer. Und von uns waren die meisten bis dahin ziemlich imstande gewesen, sich zu beherrschen und nicht zu weinen. Als wir aber sahen, daß er trank, da konnten wir die Tränen nicht mehr halten. Auch mir flossen sie mit solcher Gewalt, daß ich mein Gesicht verhüllen mußte. Kriton war aufgestanden, um sich abzuwenden, Apollodoros konnte sich erst recht nicht mehr fassen. Sokrates war der einzige, der ganz gefaßt schien. Er sagte: >Was macht ihr doch, ihr wunderlichen Leute! Ich habe doch die Frauen ausdrücklich deshalb weggeschickt, um nicht solche Szenen zu sehen. Also haltet euch standhaft!« Er ging umher, und als er merkte, daß ihm die Schenkel schwer wurden, legte er sich hin. Der Wärter berührte ihn von Zeit zu Zeit und untersuchte seine Füße und Schenkel. Dann drückte er ihm den Fuß stark und fragte, ob er es fühle. Sokrates sagte nein. Und darauf die Knie, und so ging es immer höher hinauf; er zeigte uns, wie er allmählich erkaltete und erstarrte. Darauf sagte der Wärter, wenn es ihm bis ans Herz käme, dann würde er tot sein. Nun war ihm schon fast alles um den Unterleib her kalt, da sprach er noch einmal — seine letzten Worte: >Ach, Kriton, ich bin Gott Asklepios einen Hahn für meine Genesung schuldig. Versäumt doch nicht, ihn für mich zu opfern!< — >Das soll geschehen«, sagte Kriton, >hast du uns nicht noch sonst etwas zu sagen?< Aber Sokrates antwortete nicht mehr. Bald darauf zuckte er zusammen und war tot. Kriton schloß ihm die Augen.«

    *

    In Sparta, wo man glaubte, es habe noch einmal die alte Zeit gesiegt, trieb der archaische Geist wunderliche Blüten. Es ist rührend, tragisch und komisch zugleich, anzusehen, wie die Spartaner den Zeiger der Zeit zurückzudrehen versuchen; wie sie das Einmachglas der Geschichte öffnen und die noch duftenden Früchte ihres längst vergangenen Frühlings herausholen.
    Agesilaos, der neue König, war ganz vom Geiste seines erhabenen Urahnen Menelaos erfüllt. Als er zum Befehlshaber der Flotte bestimmt war, die von nun an zum Schutze Ioniens ständig vor Kleinasien kreuzen sollte, da ging er, Homers Ilias folgend, zuvor nach Aulis, um dort ein feierliches Opfer zu vollziehen, wie es die Trojafahrer vor 800 Jahren getan hatten. Er opferte zwar keine Iphigenie mehr, aber sonst sah seine Gläubigkeit keinen Unterschied zu den Helden Homers: Auch er hatte eine Helena zurückzuholen, die schönste Blüte Griechenlands, Ionien! Und vor dem Altar der Artemis stehend wie einst Agamemnon, rief er die gesamte Griechenwelt auf — wozu? Die Griechenwelt fand seine Romantik nichts als komisch und pfiff darauf. So stand er da, ein weltfremd wirkender Parzifal, ein belächelter Priester einer vergangenen Zeit.
    Und die Götter schwiegen. Sie sind einsam geworden. Niemals mehr hört man ihr fröhliches Lachen, kaum ein Laut dringt zur Erde, wo die Menschen unter sich und allein fertig zu werden gedenken. Die Unsterblichen verlassen nicht mehr den Olymp. Kein Adler trägt mehr einen Ganymed zu Zeus empor. Fremd und in versteinerter Trauer blickt Athene auf ihre Stadt herab. Apoll spricht längst nicht mehr zur delphischen Pythia; und was sollen ihm die Worte des Träumers Agesilaos?
    Der Gott sei alt geworden, sagt ihr,
    alt und grämlich?
    O nein. Nur wir, durch die er leben
    muß, vergehen.
    So sieht er, selbst in ewiger Jugend,
    auch sein Ende.
    Ja, für eine Rose aus der Hand des Sokrates würde Apoll noch einmal lächeln, aber Sokrates hatte nicht mehr an ihn geglaubt; er weiß es.
    Während Agesilaos nach Ionien abrauschte, um Helena zu beschützen, pfiff das übrige Griechenland auf ihn, Homer und Aulis; es pfiff so

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