Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
Vom Netzwerk:
Tatsächlich macht sich die abendländische Geschichtsschreibung fast lächerlich mit ihrer verzerrten Perspektive, 1000 v. Chr., als Griechenland gerade die Geburtswehen überstanden hatte und sich langsam anschickte, in die Weltgeschichte einzutreten, hatte Ägypten schon dreitausend Jahre hinter sich und trat in den Herbst seines Lebens ein; China zählte zehn Millionen Menschen, und die lange Kette seiner Kaiser war im 50. Glied angelangt; das babylonische Reich blickte auf eine viertausendjährige Geschichte und zweitausendjährige Macht zurück. Jedes dieser Reiche hätte genügt, Hellas zu diesem Zeitpunkt noch mit zwei Fingern zu zerdrücken.
    Tatsächlich?
    Tatsächlich. Aber — und das ist die geheimnisvolle Doppelgesichtigkeit der Geschichte — ebenso tatsächlich ist das große Reich der Hethiter in Kleinasien von den (seinerzeit zusammen mit den Dorern) katapultierten Thraker-Horden überrannt und zerschlagen worden. Wer also wagt zu sagen, in welche Himmelsrichtung wir uns zu verneigen haben, wenn wir unser Abendgebet sprechen?
    Zurück zur Landkarte. Die Landkarte Griechenlands sieht kurz nach dem Jahre 1000 aus, wie alle Landkarten von Völkern auszusehen pflegen, die im Werden sind. So hat einmal Deutschland ausgeschaut, genauso Frankreich, genauso England. Man könnte die Karte mit vier oder fünf Farben ausmalen; sie würden die Siedlungsgebiete der einzelnen großen Volksstämme grob umreißen. Mehr zeichnete sich noch nicht ab. Und die Hoffnung — soweit kennen Sie ja die griechische Geschichte — , daß sich das alles einmal zusammenschweißt zu einer Nation wie Deutschland, Frankreich oder England, diese Hoffnung ist vergeblich. Genießen Sie daher den gegenwärtigen schlichten Zustand der griechischen Landkarte, später findet sich kein Mensch mehr zurecht.
    Im Süden des Peloponnes und in der Argolis bis hinauf in die Nähe Athens saßen die Dorer. Sie saßen auch in Kreta, und da sie auf ihrer Wanderung gerade so schön im Zuge gewesen waren, hatten sie auch gleich noch Kleinasien einen Besuch abgestattet und sich an der Südküste festgesetzt.
    Auf dem Peloponnes, »links« von den Dorern, lebten noch die alten Achaier. Sie saßen in Arkadien, Elis, Achaia und Messenien; vor allem aber saßen sie auf dem Pulverfaß, denn sie brauchten keine Hellseher zu sein, um sich eines Tages unter spartanischer Herrschaft zu sehen. Da sie sozusagen nicht zur Straßen-, sondern zur Hofseite hinaus (in Richtung des noch ganz uninteressanten Italien) wohnten, hatte es ihnen an Gelegenheit gebrochen, sich ebenfalls einen Ableger in Kleinasien zu sichern. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Sie wollten auch gar nicht. Sie waren die Schweizer Griechenlands.
    Ein dritter Stamm, die Ionier, siedelte schon seit der Mykener Zeit in Attika, der athenischen Halbinsel, und auf der nördlich vorgelagerten großen Insel Euböa. Ob dieser Stamm von der Dorischen Wanderung unberührt geblieben ist, oder ob die Dorer an den Mauern der Akropolis gescheitert sind, wie 1683 die Türken vor Wien, wissen wir nicht. (Wie komme ich gerade auf Wien? Merkwürdig, wie der Vergleich Athen mit Leben erfüllt!) Hinter der Weichheit der Athener hat sich immer Stärke verborgen. Kaum hatten sie gehört, daß die Dorer sich eine Kolonie in Kleinasien geschaffen hatten, setzten sie auf ihrem Breitengrad ebenfalls über und rissen das Mittelstück der Küste an sich — das beste aus dem zuckenden Körper des sterbenden Hethiter-Reiches. Jetzt war also die Küste mit ihren vielen vorgelagerten Inseln schon bis Smyrna hinauf griechisch.
    Der vierte große Griechen-Stamm saß in dem Landstrich um die starke Festung Orchomenos, die noch lange die Krone Böotiens war, ehe Theben dort die Führung übernahm. Dieser Stamm war also der Nachbar Athens. Aber er saß auch noch weiter nördlich, in der thessalischen Ebene. Es waren die Äoler; wahrscheinlich eng verwandt mit den mykenischen Adiaiern, zumindest ebenso alteingesessen; ein Volk, das später in dem verstädterten Böotien weltmännisch wurde, in der weiten thessalischen Ebene aber weiter wie baltische Landbarone lebte. Thessalien war nie reich und wurde bald von seiner Schwester Böotien weit überflügelt, aber es war ein herrliches Land, das letzte Paradies der Pferde; seine Herren waren immer etwas hinterwäldlerisch, aber Grandseigneure. Nicht von Thessalien, sondern von Böotien ging wahrscheinlich der Anstoß aus, ebenfalls im Zuge der Kolonisation um die Jahrtausendwende nach

Weitere Kostenlose Bücher