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Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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Kleinasien überzusetzen. Auch sie, die Äoler, faßten Fuß und verlängerten die griechische Küstenkolonie noch einmal um hundert Kilometer nordwärts bis zur Bucht der Insel Lesbos.
    Westlich von Böotien und Thessalien, also abermals mit dem Gesicht in Richtung Italien, saßen Reste der Achaier und Splitter uralter Stämme, zum Teil schon mit Nichtgriechen vermischt. Sie haben nie eine Rolle gespielt. Einst aber, in der vormykenischen Zeit, als Kreta noch blühte, da war dieses schroffe, unzugängliche Land der Herd der ersten Unruhe gewesen. In den tiefen Schluchten von Epirus lag Dodona, das sagenhafte Heiligtum der Ur-Griechen.
    Die Landkarte hatte sich verändert — so nennt man, wir wissen es gut, das Fazit von Blut, Tränen, Brand, Mord, verzweifelter Landsuche und wütender Landverteidigung. Was aber die alten Reiche wie Babylon und Ägypten am meisten erregte und aus dem Schlaf fahren ließ, war der Zusammenbruch des großen Hethiterreiches in Kleinasien. Griechen saßen jetzt an der Küste, Thraker im Innern.
    Bei dieser Geschichte gab es nun noch etwas Geheimnisvolles: Im Zusammenbruch des kleinasiatischen Reiches war auch Chalybia gefallen. Chalybia lag an der Schwarzmeerküste und war das »Peenemünde« der Hethiter gewesen! Beide Namen, Chalybia wie Peenemünde, bedeuten Zeitenwenden. Als Peenemünde fiel, gelangte die ganze Welt in den Besitz des Geheimnisses der Raketenwaffen; als Chalybia fiel, war das einst sorgsam gehütete Geheimnis der Hethiter, die Eisengewinnung und Verarbeitung, gelüftet und nun in aller Munde. Die Völker griffen zu und begannen mit der militärischen Umrüstung von Bronze auf Eisen! Die weichen Kupferschwerter wichen eisernen, die brüchigen Bronze-Dolche waren veraltet gegenüber den neuen stählernen Klingen; die mannshohen ledernen oder silberbeschlagenen Schilde mußten durch eiserne ersetzt werden, wenn sie nicht sinnlos sein sollten. Die eisernen aber waren so schwer, daß sie nur klein sein konnten. Da sie nun klein waren, schützten sie Beine und Arme nicht mehr, und man erfand die eisernen Schuppen und Schienen. Jetzt erst, von diesem Zeitpunkt an, bekam der griechische Krieger sein klassisches Gesicht und sah so aus, wie er in unserer Vorstellung lebt und unsterblich geworden ist: den nackten, nur vom kurzen Chiton geschützten Körper stahlgepanzert und mit wehendem Helmbusch.
    Die Welt hatte einen Ruck bekommen, eines griff ins andere, es war eine Umwälzung, die in die Geschichte eingegangen ist als Beginn der »Eisenzeit«. Das Wort Eisenzeit hat einen ur-weltlichen Klang, einen Klang nach Sage und längst Vergangenem, jedoch bis gestern lebten auch wir noch in ihr! Und es gibt hier nichts milde zu belächeln; die Geburtsstunde der Eisenzeit war damals nicht weniger einschneidend und das Wort nicht weniger unheimlich und drohend als das dunkle, schwere Wort »Atomzeitalter«, das über unserem Jahrhundert steht.
    Nach solchen Ereignissen pflegen die Barometer auf Sturm zu zeigen.
    Nun, ich sagte es schon: Wie bei den Griechen nicht anders zu erwarten, folgte das Gegenteil. Eine Windstille legte sich über das Land. Die Geschichte von Hellas versinkt ab 1100 für fast 400 Jahre im Dunkel.
    Ist eine größere Überraschung vorstellbar? Welch ein Gedanke drängt sich da uns auf! Freunde! Sollte das Schicksal stumpfsinnig genug sein, sich zu wiederholen? Lasset uns abermals ein Sternchen machen und in einer Pause schwelgen!

    *

    Das Dunkel, in das die griechische Geschichte von 1000 bis fast 600 vor Christus zurückfiel, ist ein angenehmes Dunkel, ein sympathisches Dunkel. Mir persönlich ist es so sympathisch, daß ich es, ganz entgegen der üblichen Meinung, überhaupt nicht als Dunkel empfinde. Es war die Zeit der stillen inneren Verwandlung. Die stacheligen Helden puppten sich ein, die Kokons sahen ebenso leb- wie belanglos aus; aber da drinnen entfaltete sich ein Wunder an Farben und Formen, um eines Tages den schillernden Schmetterling an das Sonnenlicht zu entlassen. Es war die Zeit der Reife, gewiß nicht ohne Härte und gewiß nicht ganz ohne Waffenklirren; aber nur Berufsmusiker vermissen hier Fanfaren.
    Homer lebte in dieser Zeit!
    Hier schrieb er die Ilias und Odyssee, die »Bibel« der Griechen, mit der er ihnen die Götter, den Himmel, den Glauben, die Helden, die Ahnen und die (ihr ganzes Leben erfüllende) Sehnsucht nach Schönheit gab. Er war es, dem die Griechen verdankten, daß sie inmitten von Schuld und Tragik unschuldig wie die Tiere

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