Rosen für Apoll
sie heute ausgestorben ist. Zehn große Familien und der Rest Sklaven — welchen Konzernpräsidenten würde das heute schrecken? Haha, das wäre ein Fressen, meine Herren, was? Das Leben als Lohnbuchhalter und Bachs Kunst der Fuge auf der Registrierkasse — sind das Aspekte?
Athen erwartete von Solon, daß er den Staat vor diesem Kältetod bewahren würde.
Solon war aus altem Geschlecht und reich, er war Truppenführer gewesen und siegreich heimgekehrt, und er war ein gefeierter Dichter. In Hunderten von Elegien hatte er, etwa wie Walther von der Vogelweide, seine Zeit angeklagt. Man zitierte seine Verse auf der Straße, man kannte sie auswendig.
Nach den Versen sollte er nun Geschichte schreiben.
Was er beschloß, war von jener Einfachheit, wie sie allergrößte Staatsmänner und allergrößte Dilettanten gemeinsam haben.
Er verkündete als erstes die Aufhebung aller auf Arbeit, auf Grund und Boden und auf Leibeigenschaft gemachten Schulden und verbot für alle Zukunft das Beleihen des Körpers. Alle in Leibeigenschaft Geratenen waren sofort freizulassen, alle ins Ausland Verkauften auf Staatskosten sofort zurückzuholen.
Die Eupatriden waren über Nacht um Millionen ärmer geworden; sie nahmen den Schlag hin, ohne mit der Wimper zu zucken. Das zweite Gesetz verordnete eine Währungsreform und eine Normung der Maße und Gewichte.
Das dritte entmachtete den Familientrust. Jeder, der kinderlos war, konnte seinen Besitz jetzt testamentarisch ohne Rücksicht auf andere Verwandte jedem beliebigen Bürger vererben. Und jeder, der Kenntnis von einem Unrecht hatte, konnte Anzeige erstatten, auch wenn der Kreis der Betroffenen sich einig war und selbst keine Klage erhoben hätte.
Das vierte Gesetz verbot den Export aller Bodenprodukte, die lebenswichtig, aber zu knapp waren.
Ein anderes Gesetz galt der Förderung des rapide aussterbenden Handwerks. Interessanterweise versuchte Solon hier gar nicht erst, etwas zu befehlen, sondern er setzte einfach die Eltern unter Druck. Niemand sollte im Alter und in der Not Anspruch auf Unterstützung durch die Söhne haben, wenn er es nicht für nötig befunden hatte, sie in der Jugend ein Handwerk lernen zu lassen.
Schon diese Gesetze greifen zum Teil in den Bereich der Verfassung über; nun aber folgten zwei, die an den Nerv der Staatskonstruktion gingen. Solon schuf einen »Rat der 400« - aus dem Volk durch das Los bestimmt — , eine Art Unterhaus als Gegengewicht gegen den seit alter Zeit bestehenden »Areopag«, das bisher allein rechtsprechende und aufsichtführende Oberhaus der Eupatriden. Ferner setzte er fest, daß über Krieg und Frieden und über die Berufung der höchsten Staatsbeamten die Versammlung des gesamten Volkes zu entscheiden habe. Noch einmal kommt hier Solons große Menschenkenntnis und zugleich seine Bitternis zum Ausdruck: Das Gesetz verlangte bei Volksentscheidungen, daß jeder Bürger sich klar und eindeutig auf eine Seite stellen und zum Ja oder Nein bekennen sollte. Wer es nicht tat, verlor das Bürgerrecht.
Es war die Geburtsstunde des demokratischen Bewußtseins.
Ich möchte fast behaupten, daß die Schaffung dieses Bewußtseins und das Haltmachen einen Schritt vor der tatsächlichen Demokratie Solons größte Leistung als Staatsmann war.
Die Mauer, durch die die Griechen vor diesem utopischen Schritt bewahrt werden sollten, schuf er in einem neuen Grundgesetz:
Vor der Volksversammlung und vor dem Volksgericht waren alle Bürger gleich; ging es aber um das Staatswesen, so schien es Solon unbedingt nötig, die Stimmen derer, die »nichts zu verlieren« hatten, auszuschalten. Solon faßte Athen zum erstenmal als eine Art Liegenschaft oder als Aktiengesellschaft auf. Er teilte die Aktionäre nach der Größe ihrer Aktienpakete in drei Gruppen ein, in die sogenannten 500-Scheffler (Boden- oder Geldertrag pro Jahr), die 300-Scheffler und die 200-Scheffler. In dieser Abstufung und ohne Rücksicht auf Adel und Herkunft waren ihnen die entscheidenden Staatsämter vorbehalten. Wer weniger verdiente, also vielleicht gerade seinen Lebensunterhalt, hatte sich als ein »Bürger ohne Kaution« zu bescheiden. So schätzte Solon das Wesen eines Stadtstaates ein. Und so schätzte er die Griechen ein. Sein Gedanke ist als eine der möglichen Ordnungsprinzipien in der Welt bestehen geblieben — offen oder geheim.
593 war das Werk Solons vollendet. Die Gesetze wurden auf drehbare Tafeln geschrieben, die Grundgesetze in die steinernen Säulen der alten
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