Rosen für Apoll
der Halbwüchsigen ein? Bengels. Und glauben Sie, daß die Vokabel bei denen, die zu Ihnen heraufblicken, schöner ausfällt? In diesen kleinen, ungehobelten, primitiven, protzigen Köpfen wohnt außer routinemäßigen Sohnesgefühlen kein Gedanke an den erwachsenen Mann.
Diese Geschöpfe, die in dem größenwahnsinnigen amerikanischen »Junior« gipfeln, müssen Sie vollständig aus dem Gedächtnis streichen, wenn Sie an Hellas denken. Niemals wieder ist das seelische Verhältnis erreicht worden, das im alten Griechenland zwischen den knabenhaften Jünglingen und den Erwachsenen bestand.
Der griechische Knabe besaß eine seelische Frequenz, die um eine Schwingung reicher als heute war: Es war die Fähigkeit, sich (es ist schwer zu formulieren) als Knappe zu fühlen; es war die Sehnsucht, bei dem einen, Erwachsenen, alle anderen ihm Nahestehenden zu verdrängen und an ihren Platz zu treten; es war die Ahnung, wie schön es sein kann, durch einen Liebenden, einen Hochvertrauten, in das Leben eingeführt zu werden; es war — und das ist nicht die unwichtigste Seite — der Knaben-Instinkt für »Verschworensein«.
Mit dieser Frequenz ausgestattet, stand der Pais dem Manne sehr leicht und sehr schnell als begehrlicher Bewunderer gegenüber. Wenn ihm der Erwachsene dann noch die Heimlichkeit und Unzulänglichkeit der Knaben-Sexualität abnahm, so verfiel der Pais dem von ihm bewunderten Manne und der leichten, spielerischen Handhabung seiner erwachten Sinnlichkeit sofort.
Das Körpergefühl der Griechen, vor allem das Strotz-Gefühl des eigenen Körpers, ist uns kaum noch vorstellbar. Das nervöse Tastvermögen, das Linear-Empfinden, die Augenlust der Griechen, schon in der Jugend, ist mit unserem heutigen Verhältnis zum Körper nicht mehr zu vergleichen. Die monotheistischen Religionen mit ihrer hochmütigen Gleichgültigkeit gegen die Natur haben dem ein Ende gemacht. Am stärksten soll man — ich weiß es nicht — noch in Japan an dieses Körpergefühl der alten Griechen erinnert werden. Ich könnte es mir denken: Dort gibt es noch die Scheidung zwischen Frauen- und Männerwelt; das Verschwörerische dieser Trennung; die Wechselbeziehung von Gefolgschaft und Beherrschen zwischen Jüngling und Mann; das Genießen des Körperlichen; die selbstverständliche, aber deshalb noch keineswegs unerotische Unbefangenheit vor der gleichgeschlechtlichen, männlichen Nacktheit; die Sauberhaltung der Haut, was nicht ganz dasselbe ist wie »Schmutz abwaschen«; die Kultivierung der Geishas zur Höhe der Hetären; das fröhliche Wohlgefallen an Phallus-Abbildern als gutem, kraftvollem Omen. Der Japankenner Herbert Lewandowski geht sogar so weit zu fragen, ob die weißen Ureinwohner Japans, die heutigen »Ainu«, nicht vielleicht Nachkommen trojanischer Auswanderer unter Äneas sind. (Wenn sie es sind, haben sie offenbar einst die östliche Route eingeschlagen; Europa haben sie jedenfalls nicht berührt.)
Der griechische Knabe trat, sobald er dem Kindesalter und dem Elementarunterricht entwachsen war, sofort und endgültig in die Männerwelt ein. Das Air, das ihn dort umgab, war seltsam. Er war nicht einen Moment lang das, was die Amerikaner, anscheinend mit kolossaler Befriedigung, in ihren Söhnen sehen: die perfekte, drollig-tyrannische Spielzeugausgabe »fabelhafter«, zukunftsträchtiger »Kerle«. Der Pais war Lehrling. Seine unreife Welt wurde weder bestaunt noch belächelt; sie wurde einfach ignoriert. Er wurde mit Macht in die männliche Gedankenwelt gerissen, so, wie es Homer mit der größten Selbstverständlichkeit vom Knaben Achill berichtet: Vom Spielzeug weg wird er Knappe zwischen Helden und mit dem nächsten Sprung selbst Held. Einen Knaben vollständig in den Bann der Männerwelt, in den Bann des Nacheiferns und Geliebtseinwollens zu ziehen, bringt keine heutige Pädagogik fertig. Diese Macht liegt in der Koppelung von Geistigem und Sexuellem. Das mag uns erschrecken, aber es ist die Wahrheit. Nur diese Verbindung verhindert, daß sowohl bei dem Mann wie bei dem Knaben in der Gemeinsamkeit eine Lücke, ein Restgebiet bleibt, auf dem nicht ebenfalls beide sich ausfüllten.
Nun liegt einem auf der Zunge zu sagen: Um jedem Knaben seinen persönlichen Mentor zu geben, müßte die halbe Nation Lehrer sein. Sie war es.
Da es in jener frühen Zeit in Griechenland keine höheren Schulen und keine Universitäten gab, hing es vom Milieu und vom reinen Zufall ab, womit der Knabe in Berührung kam. Es war also
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