Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
Vom Netzwerk:
Königshalle eingemeißelt.
    Eines Tages war es so weit. Die Sonne Homers stand über Athen, ein Meer von Menschen auf der Agora, ein Mann in den feierlich purpurnen Himation gekleidet, vor der Säulenhalle, Χαίρε, Σόλωυ! (Chaire, Solon!)
    Das Volk hob die Hand zum Schwur.
    Es gelobte, niemals einen Buchstaben an dieser Verfassung zu ändern, ohne Solon gefragt zu haben.
    Ein großer Augenblick.
    Fürwahr! Der größere aber, der unvergleichlich größere, kam erst jetzt: Solon ging nach Hause, packte die Koffer und verließ, um nicht gefragt werden zu können, Athen.
    Und hier nun, meine Freunde, wollen wir uns nicht länger beherrschen, sondern gestehen, daß uns der blasse Neid packt. Nicht jede Zeit — das wissen wir — kann einen Solon haben, aber jede Zeit hat Koffer.



... behandelt ein heikles Thema, das aber der Schlüssel zum Herzen der Griechen ist: die Paiderastía. Es ist das Angenehme an Fremdwörtern, daß sie von Kindern unter 18 Jahren nicht verstanden und von Kindern über 18 Jahren wenigstens verwechselt werden. Das drückt sich auch in den heutigen Strafgesetzen aus, die Paiderastía für eine Art Steuerhinterziehung halten.

Zweierlei hatte Solon zurückgelassen: den Knaben Peisistratos und die Alkmaioniden.
    Das alte, herrschsüchtige Geschlecht der Alkmaioniden, vor einer Generation wegen einer eidbrüchigen Bluttat verbannt, war von Solon begnadigt und durch die Priester vom Fluch gelöst worden. Da waren sie nun wieder, die Alten und die Jungen, Onkel und Neffen und Vettern, sie gingen durch die Stadt, groß und schön, herrlich anzusehen. Sie nahmen von allem aufs neue Besitz, nur von den Staatsgeschäften hielten sie sich fern. Das Unheil umwitterte sie noch. Daß ihre Stunde wiederkommen würde, davon waren sie überzeugt, und Sie dürfen es auch sein.
    Für ganz uninteressant dagegen hielten die Griechen den etwa 14 oder 15 Jahre alten Knaben Peisistratos. Und das hätten sie nicht tun sollen! Wenn es ihnen schon nicht eine kurze Überlegung sagte, so hätte es ihnen ein alter Volksglaube sagen müssen.
    Das muß ich erklären.
    Ich tue es mit einiger Scheu; ich tue es aber auch mit ebensoviel Vergnügen. Bei dem, was nun folgt, vergessen Sie bitte nicht, daß ich von Dingen berichte, über die sich damals jedermann ganz offen unterhalten hätte. Wir sollten ausführlich und in Ruhe darüber sprechen. Im Augenblick ist nichts wichtiger.
    Sie wissen natürlich, wovon wir zu reden haben: von der Paiderastía, der Knabenliebe. Das wäre nicht schwer. Es könnte auf die einfache Mitteilung hinauslaufen, und Sie könnten die Tatsache hinnehmen wie ein Faktum, über das die Menschen sich als abwegige, unnatürliche Erscheinung im klaren sind. Aber die Dinge liegen anders. Sie liegen bedrückend anders. Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß die heutige Zeit diese Dinge nicht etwa »ablehnt« oder »mißbilligt«, sondern sie als »verbrecherisch« bezeichnet! 1952 schrieb der spanische Philosoph Ortega y Gasset: »Es ist mir versagt, eine wenn auch noch so kurze Analyse des Liebesgefühls bei den Griechen zu versuchen. Das Muckertum des Landes, in dem ich lebe, und des Landes, in dem Sie atmen, versagt uns leider, diese tiefsten menschlichen Probleme mit der schuldigen Klarheit zu behandeln.«
    Wir werden es erleben, daß diese Frage unserer sogenannten Wahrhaftigkeit Ohrfeigen versetzen wird.
    Schalten Sie noch einmal alles aus, was Sie wissen — doch Sie werden es nicht können. Deshalb muß ich Sie zuerst in Ihrer Sicherheit erschüttern. Ich werde Sie mit banalen Beispielen aus dem Alltag schockieren. Beginnen wir so:
    Eine Vase ist eine Sache, ein Ding, das eine natürliche Bestimmung hat; die Bestimmung ist so selbstverständlich, daß es eine Perversion wäre, sie zu bestreiten. Das ist klar.
    Eine Kupferkasserolle ist ein Ding, das ebenso genau und klar in unserer Vorstellung seinen Platz hat, das einem Zweck dient und geradezu aus diesem Bedürfnis heraus geschaffen ist. Das ist klar.
    Ein Speichenrad, das hölzerne Rad eines Wagens, wunderbare und elementarste Erfindung des Menschen, ist schlechthin das Symbol eines Naturgesetzes, und die Leistung des Rades ist schlechthin die Belohnung des Menschen für sein Lauschen auf den Willen der Gesetze. Auch das ist klar.
    Aber obwohl das nun alles so klar ist, nehmen wir eine Vase, verschließen ihre Öffnung, schrauben eine Glühlampe ein und setzen einen Lampenschirm darüber. Geschickte Hände machen aus der

Weitere Kostenlose Bücher