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Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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Kasserolle eine bäuerliche Wanduhr, punzen den Boden als Zifferblatt und stecken schöne, altgeschmiedete Zeiger auf den Dorn des Gehwerks, das im Innern der Kupferpfanne verborgen ist. Und wie ich höre, gibt es nichts Sinnigeres, als in Gaststuben Wagenräder als elektrische Lichtkränze aufzuhängen. Dies geschieht nicht aus Not, denn es herrscht kein Mangel an Lampen und Uhren; es geschieht, um die Schönheit einer Sache, auch unter Außerachtlassen ihrer natürlichen Bestimmung, zu genießen. Bitte, machen Sie es sich recht deutlich, was hier vor sich geht, denn es ist nichts Geringes. Es ist, um die banalen Beispiele auf eine abstrakte Formel zu bringen, die Ignorierung der Einsicht, die Ignorierung der Logik und der Überlieferung zugunsten eines ästhetischen Genusses.
    Nun gibt es Menschen, die noch heute Vasen nur als Vasen benutzen. Alle früheren Jahrhunderte haben es getan. Aber Sie werden mir recht geben, daß das nichts besagt. Es ist eine Frage der Ästhetik; mehr noch: Es ist eine Frage der Befreiung vom Zwang der Vorstellungen. Menschen, die eine schöne Delfter Vase als Lampe genießen, haben keineswegs allen Blumenvasen abgeschworen; sie sind ganz offensichtlich nicht verrückt, sondern befinden sich — nach unserer heutigen wohlüberlegten Auffassung — in dem Zustand einer paradiesischen Freiheit.
    Es ist nicht notwendig, daß Sie in diese Beispiele viele Parallelen hineindeuten, auch Zynismus lag mir ganz fern; ich wollte nur dreierlei: erstens Ihnen unsere merkwürdige Situation klarmachen, in der wir uns infolge erstaunlicher Zwangsvorstellungen über Natur und Unnatur befinden; zweitens Ihnen zeigen, wie behende wir aber doch Hürden überspringen, wenn es sich um ein gefahrloses Gebiet handelt; und endlich drittens: Sie auf den Gedanken hinlenken, ja, fast möchte ich sagen, Sie das Gefühl kosten lassen, wie das ist, wenn der Schönheitssinn — die grenzenlose Schönheitssehnsucht, nicht der Übermut! — von den Göttern plein pouvoir, freie Hand, hat.
    Die Griechen hatten dieses plein pouvoir; natürlich, die Götter waren ja ihre eigenen Abbilder. Zeus entzündete sich an dem Knaben Ganymed, erhob ihn in den Olymp, um ihn in ewiger Jugend als Geliebten um sich zu haben. »Und es freute der Gott sich«, dichtete Goethe. Damit dokumentiert uns der Gott persönlich, was zu dokumentieren war: Nicht erotischer Überdruß oder Perversion, sondern Trunkenheit vor dem Schönen, paradiesische schwindelfreie Genußsucht waren die Quellen der griechischen Paiderastía.
    »Wie schön bist du, Pantarkes«, ritzte Pheidias heimlich in die Fingerspitze seiner goldenen Monumentalstatue des Zeus von Olympia ein. Pantarkes war ein Knabe in Athen.
    Die Griechen liebten den männlichen Körper als ästhetische Schöpfung abgöttisch. Die schlanken hohen Beine, die sich beim Spiel in den Gymnasien reckten, spannten, spreizten, im Lauf wirbelten und beim Ringkampf sich umeinander klammerten — welch ein Anblick. Die schmalen Hüften; der ruhige Leib; die knabenhafte, erst langsam erstarkende Brust mit dem kaum merklichen Auf und Ab der Muskeln und Rippen! Die langen Arme, an denen bei jeder Bewegung die Sehnen in der weichen Beuge und in den schlanken Gelenken hervorsprangen! Die den tastenden Händen und den modellierenden Augen unvergeßliche phallische Plastik, sich unerschöpflich variierend, bald ein Jambus, bald ein Epigramm oder eine Elegie! War das nicht Musik? Eine Melodie beim Mann — dagegen eine Pause bei der Frau, eine fallende, entgleitende Leere, ein »Meden« der Augen, ein »Nichts«. (Die Griechen haben an der Frau dem Antlitz, Haar, Augen, Lippen, Gestalt, Brust, Schenkel und Gesäß, nie aber dem »langweiligen« Schoß Beachtung geschenkt. Die Plastiken sind ein beredtes Zeugnis dafür.)
    Kein Zweifel: Wenn die Griechen vom »schönen Geschlecht« sprachen, meinten sie das männliche. Es begann mit dem Knaben, dem halberwachsenen, dem Pais; es begann von dem Augenblick an, da seine Pubertät vollendet war. Das geschah in Hellas früh; wann immer aber es sein mochte, dieser Zeitpunkt bildete die selbstverständliche Grenze, die niemand überschritt, eben weil nicht die Perversion ein Kind als Opfer suchte, sondern die Ästhetik den gleichempfindenden Partner.
    Ja, empfanden sie denn gleich, der Ältere und der Pais? Treten Sie ans Fenster, und blicken Sie auf die Straße hinaus; welche Vokabel fällt Ihnen, wenn Sie nicht gerade das Glück haben, eine Ausnahme zu sehen, beim Anblick

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