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Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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vielleicht gelang es, das drohende Schicksal der Knechtschaft noch einmal abzuwenden.
    Wenn der Karren abgeladen, wenn Milch, Käse und öl abgeliefert waren, dann konnte man, ehe man zurückfuhr, noch einen Sprung auf den Markt machen. Jetzt war die Stunde, zu der Athen einkaufte. Da kamen die Haushofmeister mit ihren Sklaven und die Männer aus dem einfachen Volk, die ihr Zickel- und Schweinefleisch, das kleine Stück gepökelten Thunfisch und die Feigen im Mantelzipfel selbst nach Hause trugen. Wie viele Mäuler mußten in manchen Häusern sein! Da gab es Hofmeister, die kauften zehn Weizenbrote, fünf Käse, drei Wasserhühner, drei Hasenpfeffer mit Gewürzen, fünfundzwanzig Knackwürste, einen Beutel Erbsen und drei Krüge Wein! Ja, die Stadt, man konnte nur staunen. Aale aus Böotien, Honig aus Phokis, Pferde aus Thessalien, Marmor aus Paros, Holz aus Makedonien, Liebeslieder aus Lesbos:

    Die du thronst auf Blumen, du schaumgeborene Tochter des Zeus, ach, wenn du mich doch fragtest: Was beklemmt deine Brust, wen soll ich ins Netz dir schmeicheln, welchem Liebling schmelzen den Sinn?

    — Sappho! Daß eine Frau so etwas dichten konnte! Vielleicht war sie Athene oder Artemis selbst.
    ...wen soll ich ins Netz dir schmeicheln? Wie schön diese Worte! Ach, du schaumgeborene Tochter des Zeus, den Knaben dort drüben, wenn es dir recht ist! Er sieht dem Treiben zu, als sei er der Herr dieser Menschen. Wenn man nicht wüßte, daß er Peisistratos heißt, aus der Familie des Nestor stammt und der Geliebte Solons ist, könnte man ihn für einen Gott halten.
    Leb wohl, junger Apoll, ich muß zurück zu meinem Karren! Wenigstens haben meine Augen dich verschlungen. Bringe Solon Glück, damit auch er uns Glück bringt. Ganz Attika denkt in diesen Tagen an ihn.

    Ganz Attika dachte in diesen Tagen an Solon.
    Der athenische Bürger Solon war zu diesem Zeitpunkt 47 Jahre alt. Stellen Sie sich einen Mann vor wie — ersdhrecken Sie jetzt nicht über die hautnahe Wirklichkeit — einen Mann wie Ernst Jünger, zu weise, um noch Ambitionen zu haben, ein Ikarus im Gehäuse, Pour-le-mérite-Träger und Dichter. Stellen Sie sich, wenn Sie können, vor, daß ein ganzes Volk, Feudal-Adel und Industriekapitäne, Landjunker, Bankiers, Kaufleute, Handwerker, Beamte und Arbeiter zu diesem Mann kommen und ihr Schicksal ohne Bedingung in seine Hände legen — und Sie werden ermessen, welche Größe beide Partner, der eine wie der andere, besaßen; wenigstens einen entscheidenden Augenblick lang.

    Im Jahre 594 berief man Solon zum Archonten, zum Regenten, und beauftragte ihn — ja, womit? Die Philologen pflegen sich anzuschauen, was Solon gemacht hat, und schließen daraus, daß es genau das war, was er machen sollte. Also Gesetze.
    Das ist ein Musterbeispiel von steriler Geschichtsbetrachtung. Der Kurzschluß ist verblüffend!
    Wahr ist vielmehr, daß kein Athener eine Vorstellung hatte, was überhaupt zu tun sei. Nicht, daß der Staat vor dem Ruin stand; wie hätte das damals aussehen sollen? Nein, die Griechen waren noch gesund genug, den Alarm viel früher zu spüren: Das Handwerk starb erschreckend ab, die Rechtsprechung versagte, das Geld ballte sich so einseitig zusammen, daß es fast nicht mehr umlief, die Bauern verarmten, die Söhne wanderten aus — die Gemeinschaft war nicht mehr liebenswert, der Staat war verächtlich. Nicht verbrecherisch und nicht bankrott: Er war einfach eine Fehlkonstruktion. Als die Athener zu Solon gingen und ihm die Blanko-Unterschrift des ganzen Volkes überbrachten, machten sie die Augen fest zu und warteten auf den Knall, der kommen würde. Es ist möglich, daß man sogar so weit gehen kann zu sagen: Solon hätte sich zum König machen können. Man kann gar nicht genug Spannung und Dramatik in den Moment legen, in dem Solon den Schwur Athens entgegennahm.
    Nicht weniger erstaunlich ist die Haltung der alten reichen Familien, der sogenannten Eupatriden, der »Männer mit guten Vätern«. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß sie, die in wenigen Generationen fast das ganze Land Attika mitsamt dem toten und lebenden bäuerlichen und handwerklichen Inventar verschlungen hatten, genug Söldnermacht besessen hätten, die gärenden Unruhen niederzuschlagen. Auch die Gegnerschaft untereinander ist da kein Hindernis; wir wissen: Trusts einigen sich schnell. Wenn die Eupatriden dennoch nicht zum Schwert griffen, sondern die Hände sinken ließen, so beruhte das auf einer Liebe zum Staatsleben, wie

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