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Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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geradezu unerläßlich, daß er einen Führer fand. Daß es oft der Vater selbst war — wobei dann natürlich von Erotik keine Rede war — , das müssen wir annehmen. Ebenso wie wir sicher sein können, daß ein kleiner Prozentsatz von Knaben, vielleicht gerade diese Söhne, ohne Paiderastía ausgekommen sind und das ganz normale Liebeserwachen zu einem jungen Mädchen erlebt haben. Die Regel war das nicht. In Sparta war es, wie wir sehen werden, sogar ausgeschlossen.
    Ein Knabe konnte also nichts Besseres hoffen, als die Aufmerksamkeit eines Mannes und seine aufopfernde Freundschaft zu erringen. Es gab Fälle, wo ein Pais in der Illusion nach einem bestimmten Mann und in der Sehnsucht, sich ihm und seiner Welt nähern zu dürfen, fast verging. Und es gab zahllose Fälle, wo ein Mann jahrelang vergeblich um die Zuneigung eines Knaben warb, in dem er geistig und körperlich seinen Wahl-Sohn ersehnte.
    Tatsächlich war die halbe Männerwelt der Griechen auf diese Weise verbunden. Jede freie Minute verbrachte der Mann mit dem Knaben. Zwischen seiner Berufsarbeit und den nötigsten häuslichen Pflichten gehörte die Zeit dem Pais. Sie verbrachten Stunden im Gespräch, Stunden beim Lernen, viele Stunden auf dem Sportplatz des Gymnasions, dort alle in völliger Nacktheit; der Knabe begleitete seinen Mentor, er hörte dessen Gespräche mit anderen, er durfte ihm auf der Reise folgen, er wurde in Sitzungen und Beratungen als Zuhörer (und zugleich Adjutant) mitgenommen, er wurde in das Haus eingeführt, und er wohnte den Symposien bei, jenen abendlichen Freundestreffen, die wir ganz zu Unrecht als Saufgelage auffassen. Zu einem Symposion, dem gemeinsamen »Schöppele-Trinken«, wie der Schwabe sagen würde, fanden sich drei, vier, auch zehn oder zwölf Freunde zusammen, lagen auf ihre Ellbogen oder Kissen aufgestützt, behaglich um den Tisch, tranken langsam und genießerisch den wasserverdünnten Wein, knabberten Süßigkeiten, ließen sich Musik vorspielen und redeten über Gott und die Welt. Die Kienfackeln knisterten, die Öllämpchen blakten, der Rauch zog durch die Vorhänge zwischen den Pfeilern und Säulen des Peristyl-Gartens hindurch ins Freie und hundertfach über ganz Athen zum sternenübersäten Himmel hinauf. Bei solchen Symposien waren die Knaben oft zugegen; sie umsorgten ihren Mentor, übernahmen das Amt des Mundschenks, musizierten, wurden in Colloquien und Debatten hineingezogen und zitterten bei dem Gedanken, dem Manne, den sie verehrten oder liebten, Schande zu bereiten. Und der Mentor zitterte bei der Vorstellung, seine Erziehungsaufgabe in den Augen seiner Freunde nicht erfüllt zu haben. Alle alten Dokumente geben Zeugnis davon, wie sehr der Ehrgeiz und der Ernst dieses Verhältnis bestimmten.
    Man nahm es todernst. Der Mann schenkte dem Pais alles an Wissen, alles an Gedanken und Erfahrung, was er besaß; er hatte keinen größeren Wunsch, als ihn zum χαλός χάγαϑός (kalos kagathos), dem »Vollendet an Leib und Seele« zu erziehen. Dabei hatte er nicht eine Sekunde lang ein schlechtes Gefühl bei dem Gedanken an die Paiderastía.
    Nach Ansicht der Griechen übertrug er dem Knaben sogar in der körperlichen Vereinigung seine Kraft. Der Volksglaube lehrte, daß der Pais mit dem Sperma auch das Wesen des Mannes kommunizierte.
    Und damit sind wir wieder bei dem Knaben Peisistratos angelangt und bei dem Satz: »Das hätten sie nicht tun sollen.«



... tritt der Mann auf, der Athen mit dem Dornröschen-Kuß erweckt: Peisistratos! Er ist einer der Größten, die Griechenland hervor gebracht hat, und man würde ihn heute noch viel mehr bewundern, ja, man würde ihn geradezu lieben, wenn er nicht einen Beruf gehabt hätte, der ganz in Mißkrecht geraten ist.

Um das Jahr 565 führten die Athener einen kleinen Krieg gegen das benachbarte Megara, denn Kriege hatte Solon nicht verboten. Der Führer des siegreichen athenischen Heeres hieß Peisistratos.
    Da ist er.
    Nach langer Zeit taucht sein Name wieder auf. Aus dem Knaben ist ein Mann geworden. Peisistratos ist hier etwa 40 Jahre alt. Aber in dem Augenblick, da man ihn fassen zu können glaubt, verschwindet sein Name schon wieder aus den Annalen.
    Nach fünf, sechs Jahren hören wir von einem ganz merkwürdigen Ereignis. Auf dem Marktplatz von Athen erschien eines Tages ein Maultiergespann im Galopp, der Wagen hielt, einer der angesehensten Bürger sprang herab, er war verwundet und blutete. Die Menge drängte sich um ihn, zuerst neugierig und

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