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Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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erstaunt, dann, als sie seine ersten Worte hörte, erregt und schließlich schäumend vor Empörung. Der Mann berichtete von einem Überfall, den man auf ihn verübt hatte; Athener sollten es gewesen sein! Auf der Fahrt zu seinen Landgütern hatten sie ihn grundlos, aus politischer Verblendung, ermorden wollen.
    In ungewöhnlicher und unverständlicher Eile und unter Verzicht auf alle verfassungsmäßigen Vorbeschlüsse wurde eine Volksversammlung einberufen, der ein ebenso ungewöhnlicher Antrag vorgelegt wurde: Die Versammlung sollte dem Überfallenen eine bewaffnete Leibstandarte, eine private Streitmacht von 50 Keulenträgern genehmigen. Die Volksversammlung tat es, denn der Verwundete war ein großer Sohn der Stadt, Sieger bei Megara.
    Es war Peisistratos.
    Eine seltsame Geschichte; für uns mehr noch als für die Zeitgenossen. Was ging da in Athen vor sich? Anscheinend gab es politische Strömungen, die sich bekämpften. Vielleicht war, 25 Jahre nach Solons Gesetzgebung, der alte Kampf zwischen Stadt und Land erneut ausgebrochen. Oder die Kampfeslust des Kapitals, das die gestrichenen Schulden nicht vergessen konnte? Wie man es dreht, klar ist, daß es zwei Lager gab, zwei Situationen, und jedermann steckte automatisch in einer von ihnen. Das leuchtet ein. Die einen wollten sich unter den Solonischen Gesetzen erholen, die anderen von den Solonischen Gesetzen. Der Unterschied der beiden Wörtchen ist minimal, aber leider weltbewegend.
    Oder war das Attentat auf Peisistratos überhaupt fingiert? War es in Szene gesetzt? Gab es das? Das gab es, und wenn etwas schön in Szene gesetzt war, hatte es stets Erfolg. Peisistratos — das werden wir noch sehen — war ein begeisternder Schauspieler. Auch der Pomp der 50 »Keulenträger« zeugte davon.
    So glaubte jedenfalls Athen. Und das hätte es abermals nicht tun sollen. Hätte man genau nachgezählt, so würde man festgestellt haben, daß nicht 50, sondern 300 »Keulenträger« in seinen Diensten standen und daß sie nicht nur Keulen trugen. 300 Mann Militär in einer Stadt von 20 000 oder 25 000 Einwohnern, das war eine Streitmacht! Es muß auch finanziell für Peisistratos keine Kleinigkeit gewesen sein. Denn er bezahlte sie. Eine teure Eitelkeit oder Ängstlichkeit.
    Aber Peisistratos war weder eitel noch ängstlich. Eines Morgens bewies er zumindest das letzte. Die Athener wachten auf und sahen, daß er die Akropolis besetzt hatte. Auf den Mauern der Festung standen seine Schwerbewaffneten; er selbst befand sich ebenfalls in der Burg, mit ihm wahrscheinlich, freiwillig oder nicht, wenigstens einer der regierenden Archonten.
    Die Kunde davon muß sich wie ein Lauffeuer verbreitet haben, denn sofort war ganz Attika ein aufgeregter Bienenschwarm. Auch was die Tat bedeutete, wußte man offenbar sofort, und Sie werden es ebenfalls wissen, wenn Sie sie in die heutige Zeit übertragen und sich vorstellen, daß die Leibgarde eines Mannes plötzlich Regierungsgebäude, Post, Radio und Presse besetzt und die Bahnhöfe sperrt.
    Die Reaktion war beschämend und total verblüffend: Bei Nacht und Nebel verließen die Alkmaioniden zum zweitenmal Athen, und alle politischen Führer stürzten ihnen nach. Das hat sich in der Weltgeschichte dann gar manches Mal noch wiederholt und hängt, wie Sie einsehen werden, mit der Unersetzlichkeit von Politikern zusammen.
    Sobald die Gegner das Feld geräumt hatten, stieg Peisistratos inmitten seiner Leibstandarte in die Stadt hinab, und es wird wohl ganz Athen auf den Beinen gewesen sein, um zu sehen, was nun passieren würde. Inzwischen ritten die Boten in das Land und verbreiteten die Kunde, daß Athen »Tyrannis« geworden war. Da ist es also zum erstenmal, das berühmte Wort!
    »Tyrannis« klingt wie ein Peitschenhieb, wie ein Trompetensignal; aber es klingt nur für unsere Ohren so. Den Griechen klang es damals ganz vertraut. Viele Städte hatten »Tyrannen«, Korinth, Megara, Sikyon, schon seit Generationen. Jenes Ereignis, das das Wort Tyrann mit dem ewigen Makel behaften sollte, lag noch in weiter Ferne. Jakob Burckhardt hat die Periode der Tyrannis sogar eine entscheidende Entwicklung zur Demokratie, ja, wörtlich eine »antizipierte Demokratie« genannt. Und damit ist unsere Verwirrung komplett.
    Nun gibt es in solchen Fragen einen bewährten Ratschlag aus Volkesmund: »An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.« Leider versagt er hier zunächst, denn ehe Peisistratos es sich versah, hatte man ihn bereits wieder vertrieben. Wie

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