Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
Vom Netzwerk:
die Tyrannis von Korinth beseitigt und durch ein gehorsames Regiment ersetzt, hatte Ägina zum Bündnis gezwungen, war in Megara auf keinen Widerstand gestoßen und stand nun bereits ein paar Kilometer vor Attika — nicht etwa mit einem Heer, o nein, nur mit seinen Unterhändlern. Das Heer klirrte inzwischen in Sparta, und eine Flotte kreuzte zwischen Ägina und Megara. Wenn das schon genügte, müssen die Früchte ziemlich reif gewesen sein. Reif war auch — und das ist die Erkenntnis der euböischen und böotischen Herren gewesen — , reif war auch Athen. Die habgierigen Alkmaioniden und ihre Clique hatten es heruntergewirtschaftet; der Schacher auf der einen Seite und die Hoffnungslosigkeit auf der anderen hatten dem Volk das Rückgrat gebrochen. Athen war ein Gummilöwe geworden, ein immer noch großer, aber leerer Luftballon. Wer ihn aufpustete, der hatte Mittelgriechenland in der Hand! Es gab nur zwei, die das konnten: Sparta und Peisistratos. Peisistratos war Mittelgrieche wie sie. Sie griffen zu.
    In allen Geschichtsbüchern werden Sie nun eine feierliche Würdigung dieses Schrittes finden. Welch politischer Weitblick! Sogar Theben, das doch der Tyrannis völlig fernstand, schloß sich Peisistratos an — welch staatsmännische Klugheit! Denn — wie Sie bereits ahnen werden oder wissen — Peisistratos kam an die Macht, und die durch Sparta bedrohte Freiheit war gerettet.
    Ich aber muß Ihnen sagen: Das scheint mir eine klägliche Deutung. Wenn 2 000 Jahre Distanz uns den Blick immer noch nicht geweitet haben, dann weiß ich nicht, warum wir uns mit Geschichte beschäftigen.
    In Wahrheit war der Augenblick, als Peisistratos sich erhob, ein Moment von großer geschichtlicher Tragik. Und die Tatsache, daß dieser Mann auch noch ein glänzender, ein geradezu legendärer großer Herrscher wurde — das ist das I-Tüpfelchen auf der tragischen Ironie, das Gelächter der Nemesis. Für uns heute, die wir den ganzen Bogen der griechischen Geschichte überblicken, ist es erschreckend zu sehen, wie sich die Wahrheit den Griechen damals verbarg und wie ihnen ihre kurzen Gedanken und Wünsche lückenlos richtig schienen. Alle Überlegungen fügten sich so glatt aneinander: Sparta wollte »die Vorherrschaft« — ein Wort, das in aller Welt geächtet ist; kein Mensch weiß, warum. Sparta stand »schon vor der Tür« — ein Wort, das immer alarmiert. Die »Freiheit« war in Gefahr — hier bedarf es nun überhaupt keiner Begründung mehr, das Wort ist heilig, wie immer es auch mißbraucht werden mag.
    Vaterland, Freiheit, Selbständigkeit, Entweder-Oder: Diese Fragen können alle echt sein; dann ist es geschichtlich richtig, wenn sie die Herzen mobilisieren und die Völker aufstehen lassen. Hier aber, 450 v. Chr. in Hellas, waren sie ein Kurzschluß. Athen war kein »Vaterland«, und Sparta war kein »Feind«. Diese blinden Kurzschlüsse haben sich in der Weltgeschichte tausendfach wiederholt. Manchmal haben starke Menschen sie nachträglich mit Blut und Eisen korrigiert — Lincoln, Elisabeth I., Cavour, Bismarck — , wenn nicht, gab es eine »verpfuschte« Historie. Die griechische wurde eine. 540 hätte Hellas ein Staat werden können. Sparta war der vom Schicksal Beauftragte, der Stärkste, der Gesündeste. Alle anderen Triebe des griechischen Baumes hätten beschnitten werden müssen. Sparta war die große Dogge, die gefüttert werden mußte. Aber die kleinen Spitze wollten das Gegenteil, und als 200 Jahre später der Wolf aus dem Norden kam, zerfetzte er sie alle.
    Eines aber ist wahr: Ohne diese Fehlentscheidung gäbe es kein Perikleisches Athen. Die Perle Griechenlands wurde damit bezahlt.

    *

    Nun — im Augenblick sah alles ganz anders aus.
    Die Nachrichten aus Athen sprachen von Verarmung, Arbeitslosigkeit, Ungerechtigkeiten, Depression, Unruhen. Der solonische Versuch war gescheitert. Nicht an der Verfassung. Nicht an den Gegnern. Sondern? Wir wissen über jene kurzen Jahre nicht sehr gut Bescheid, aber wahrscheinlich war es die ganz persönliche Schuld einzelner Regenten, eine charakterliche Schuld, vor allem die Schuld schlechter Charaktere aus dem Hause der Alkmaioniden.
    Die Regierung von Athen war völlig überrascht, als die Schreckensnachricht eintraf, daß Peisistratos mit einem Heer Euböa verlassen habe und bei Marathon gelandet sei. In aller Eile stoppelte man ebenfalls ein Aufgebot zusammen; die Patrizier und ihre Söhne schwangen sich auf ihre Rösser, hoffend, es möge nicht ernst sein; die

Weitere Kostenlose Bücher