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Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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Wachkompanie, das Landkontingent, einige hundert Bürger, Söldner und Hörige schnallten die Sandalen fester, hoffend, es möge ernst sein. Bei dem Dörfchen Pallene, kaum 15 Kilometer von Athen entfernt, erblickten die Athener die von den Hügeln in die Ebene herabsteigenden Krieger des Peisistratos. Und die von oben Herabkommenden sahen die Athener in der Ebene herannahen. Beide Parteien machten halt. Das Signal zum Bruderkrieg zu geben ist nicht leicht. Die beiden kleinen Heere lagerten; es wurde Abend und Nacht.
    Endlich besann sich Peisistratos darauf, weshalb er hier war. Er befahl den Angriff, den ersten Nachtangriff der abendländischen Geschichte.
    Herodot berichtet, daß die Überraschung vollständig war. Die Athener machten sofort kehrt. Peisistratos schickte ihnen seine eigenen Söhne mit der Botschaft der Amnestie hinterher. Die Verwirrung war bei den Soldaten gering, aber um so größer bei den Führern. Die Alkmaioniden, die Philaiden und andere führende Geschlechter verließen sofort die Stadt. Der Trubel hielt die ganze Nacht an, es war ein unheimliches Gerenne, Getrappel der Pferde, Rollen der Wagen, Packen, Flüchten. Alles war übernächtigt, als der neue Tag anbrach, aber das Volk war wieder vollzählig zur Stelle und strömte zum Osttor — Peisistratos entgegen.
    Peisistratos ritt sorglos ein, und Athen bereitete ihm einen jubelnden Empfang. Mit ihm ritt — und das konnte nun auch der Gläubigste nicht vermuten — der Genius der griechischen Seele ein und wählte Athen von nun an für immer zu seiner Residenz.

    14 Jahre hat Peisistratos um die Macht gekämpft, 12 Jahre hielt er sie in den Händen, und es ist ein Vergnügen, zu verfolgen, wie er vorging.
    Das Wort Vergnügen, das ich eben gebrauchte, ist nicht gewöhnlich. Ich sagte nicht: Es ist interessant oder es ist bewundernswert. Ich sagte Vergnügen. Das ist in der Geschichte ein so ungebräuchliches Wort, daß man sogleich spürt: Hier spielt eine besondere Freude mit; eine große menschliche Befriedigung.
    Wir kommen damit Tieferem auf die Spur als etwa nur der Tatsache, daß der Mensch, um den es sich hier dreht und der uns anfangs doch wahrlich etwas zwittrig erschienen war, sich als anständig entpuppte; Tieferem auch als etwa der Tatsache, daß dieser Mensch, der bisher seine Person als einfaches Rezept kaum glaubwürdig machen konnte, sich als sehr klug erwies. Wir kommen etwas viel Elementarerem auf die Spur:
    Das Stuchum eines vorbildlichen Regenten wie Peisistratos holt aus dem tiefsten Brunnenschacht unseres Wissens eine aus der Welt absichtlich verstoßene Erkenntnis herauf, die Erkenntnis nämlich, daß ein Mensch von den Eigenschaften des Peisistratos Diktator sein muß, daß er nur als Tyrann herbeigefleht werden darf. Ist er der Unerhörte, der Kluge und Gute, so kann jeder Macht-Mitanspruch eines anderen die Qualität der Herrschaft nur mindern. Der Einwand, daß es solche Menschen nicht gibt, ist eine uralte Lüge. Wir stoßen auf sie schon zu einer Zeit, als noch niemand böse Erfahrungen geltend machen konnte. Sogar ein so kluger und selbstloser Mann wie Solon hat es nicht fertiggebracht, über seinen Schatten zu springen: Als Peisistratos den ersten Staatsstreich versuchte — wohlgemerkt auf der Basis der so-lonischen Gesetze — , rief er sofort zum Widerstand auf, böse und erbittert, ohne Grund, gegen sein besseres Wissen, nur von der Chimäre »Freiheit« hypnotisiert. Man sollte einmal untersuchen, ob die Magie des Wortes »Freiheit« und die Schreckwirkung des Wortes »Tyrann« nicht wirklich atavistische Erinnerungen sind.
    Wenn es eine »unbewältigte Vergangenheit« für das Menschengeschlecht gibt — hier liegt sie. Und ich würde sagen, sie stammt aus der Cromagnonzeit.

    Peisistratos war, als er an die Macht kam, über 60 Jahre alt. Er hatte Zeit gehabt, sich die interessante Tatsache klarzumachen, daß die Menschen eine Abneigung gegen ein »Ich« in der Staatsführung haben und ihr ganzes Vertrauen dem »Wir« schenken. Peisistratos war entschlossen, dieser Vorstellung so weit wie möglich entgegenzukommen. Nur seine erste Tat war die eines reinen Diktators: Er setzte mit einem Federstrich neue Archonten ein. Damit schien die Revolution aber beendet. Tatsächlich vertraute er, mit dieser gesicherten Spitze, die nächsten Schritte — alle Berufungen, Richtersprüche und Entscheidungen — wieder dem Volk an; wie das solonische Gesetz es befahl. Das Leben ging weiter. Wir müssen vermuten, daß

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