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Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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Genies beisammen, als spätere Zeiten in hundert Jahren hatten. Jedermann verstand sie, die Mütter hoben ihre Kinder hoch, damit sie sie in der Menge sehen konnten, und die Knaben deuteten mit dem Finger auf sie, um sie sich gegenseitig zu zeigen.
    Unter Perikles geschah das Wunder, daß sich die unscheinbare Thespiskarrenkunst zu märchenhafter Blüte entfaltete, zur großen Schauspielkunst. Athen vergoldete dem Doppelgestirn, das dieses Wunder vollbrachte, jeden Fußbreit seines Lebens. Perikles überschüttete es mit Geld und Ehren: Da war Aischylos, der strenge, heroische Dramatiker, der homerische Mahner, der alte Meister, einst Mitkämpfer von Salamis und Platää; und dann der 29 Jahre jüngere Sophokles, der ihn bei den Dionysosspielen 468 im öffentlichen Wettstreit »besiegt« hatte und dessen Dramen für die nächsten zwei Jahrtausende der Maßstab der Dichtung werden sollten. Perikles liebte ihn über alles und sah in seinen Schauspielen das verklärte Abbild »seines« Athens. Als Sophokles den Zenit seines Schaffens erreicht hatte, war schon wieder ein Neuer da: Euripides. Und ehe der Stern Euripides matter wurde, entdeckte Athen den nächsten: Aristophanes.
    Wie liebten die Athener das Theater! An den Tagen, an denen eine Tragödie uraufgeführt wurde, herrschte vom frühen Morgen ab eine festliche Stimmung; da wogte es in den Straßen von Purpur, Blau, Grün, Gelb, Weiß; wer nicht auch hingehen konnte, stand auf den Plätzen und sah dem Anmarsch zu, vor allem dem Korso der »oberen Zehntausend« aus den Villenvierteln.
    Für das einfache Volk ließ Perikles oft Komödien und Possen inszenieren, jene Schwänke, die noch zu Anfang des fünften Jahrhunderts rein phallische Szenarien waren. Sie hatten sich in dem Blitztempo, in dem jetzt alles fortschritt, gemausert und waren politische Kabarettstücke geworden, ein bißchen flach, aber bissig und komisch. Die Menge kam sich dabei sehr kühn und freiheitlich vor; und Fremde reisten von weither in die Stadt, in der es »so was« gab. Chaire, Perikles!
    Die Alkmaioniden lächelten.
    Wenn das Theater eine Komödie spielte, schüttete auch die letzte krumme Gasse ihre Bewohner auf die Tribünen aus; Scharen von »Volk« zogen, mit Datteln, Trauben, Wein und Brötchen bewaffnet (denn Plebs darf mit dem Turnus der Mahlzeiten, ohne schwere physische Schäden davonzutragen, nicht aussetzen), durch die Straßen; eilig, um die besten Plätze zu erwischen. Dann saßen sie auf den Rängen und lärmten, daß man es weithin hörte; sie lachten und klatschten wie die Kinder, schrien und stampften vor Vergnügen mit den Füßen im Takt oder warfen erbost Feigen auf die Bühne. Niemand nahm die Dinge ganz ernst, Schauspieler und Publikum verwechselten bald ihre Rollen, man unterbrach die Texte, rief zur Menge hinauf, schrie hinunter und amüsierte sich königlich, bis die Dämmerung und der Dichter der Vorstellung ein Ende machten. Dann folgte der schönste Teil des Tages mit seinen Symposien und seinen nicht enden wollenden Schwätzereien, dem milden Harzwein und der Liebe. Nachts kam es jetzt oft vor, daß die jungen Burschen nicht ins Bett fanden, sondern mit Schabernack, mit Gesang und Spottliedern zu einer piccola serenata oscena durch das schlafende Athen zogen. Man brachte einer Hetäre eine Katzenmusik und einem Pais ein Ständchen und hinterließ — das scheint ein besonderer Genuß gewesen zu sein — am Toreingang möglichst laut plätschernd seine Visitenkarte. Türen öffneten sich, schimpfende Stimmen hallten, Hunde bellten. Keine Scharwachen weit und breit, die »Astinomoi« hatten Dienstschluß. Endlich, oft erst lange nach Mitternacht, lag für ein paar Stunden die Stadt so da, wie die späteren Jahrhunderte sie in Gedanken sahen: ein Traum in Marmor. Der eine, der kraft seiner offiziellen Dauerstellung als »Stratege« und einiger anderer Ämter den athenischen Staat lenkte und mit seinem Geist erfüllte, war Perikles.
    Wir kennen sein Bildnis; die Originalplastik, die Kresilas in Erz geschaffen hat, ist verlorengegangen, aber römische Marmorkopien des Kopfes sind erhalten. Sie bestätigen das, was alle Zeitgenossen von ihm berichten: Er muß — auch wenn man die Idealisierung abrechnet — ein »schöner Mann« gewesen sein. Darunter pflegt man zwar zu allen Zeiten etwas anderes zu verstehen; doch in seinem Falle stimmten wohl alle Urteile überein. Er war groß und schlank, sein Gesicht ebenmäßig bis an die Grenze des Belanglosen, sein Äußeres

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