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Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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sorgfältig gepflegt. Er hatte die »griechische Nase« (Stirn und Nasenrücken eine Linie), sofern die »griechische Nase« nicht überhaupt eine Erfindung der Bildhauer war, denn die späteren realistischen Plastiken und die Malereien zeigen ganz normale, vielseitig geformte Nasen.
    Nun gut, er hatte also eine »griechische Nase«. Die Augen, soweit sie der tote Marmor ahnen läßt, erwecken den Eindruck der Gelassenheit und der Leidenschaftslosigkeit. Der Mund aber, obwohl von einem gestutzten Schnurrbart auf der Oberlippe etwas verdeckt, erzählt andere Dinge: Die Lippen sind feminin voll und geschwungen und strotzen von Sinnlichkeit.
    Ein kurz gehaltener, fein gewellter Vollbart umkränzt das Gesicht, wie es damals in vornehmen Kreisen Mode war. Der Kopf wirkt klug, kultiviert und nobel. Er trägt einen lässig aus der Stirn geschobenen hohen Topfhelm mit Augenschlitzen — ein schöner Effekt.
    Ich weiß nicht, wo ich einmal las, daß der Helm nur seinen Eierkopf verbergen sollte; das ist gewiß ein übler Scherz. Der Helm, der das Gesicht so unnachahmlich krönt, deutet den General, den Strategen an, und sein Träger besaß sicher einen Kopf, um den ihn alle heutigen »Strategen« beneiden können. Ich meine natürlich die Form.
    Die Form — »ja, da liegt’s!« (Skakespeare). Wenn Form, Harmonie, Maß, Grazie, Bewegung und Silhouette die Kronzeugen echter Schönheit sind, dann war Perikles schön; auch ohne Anführungsstriche.
    Wie sehr er die Form beherrschte und Form verkörperte, davon zeugt das Hingerissensein der Athener, ihr Hingerissensein, mit dem sie Perikles stets von neuem betrachteten, wenn er öffentlich auftrat. Friedrich Nietzsche hat sein Bild so beschrieben: »Wenn er vor seinem Volke stand in der schönen Starrheit und Unbewegtheit eines marmornen Olympiers und dann, ruhig, in seinen Mantel gehüllt, bei unverändertem Faltenwurf, ohne jeden Wechsel des Gesichtsausdrucks, ohne Lächeln, mit dem gleichbleibenden starken Ton der Stimme, also ganz und gar undemosthenisch, aber eben perikleisch redete, donnerte, blitzte, vernichtete und erlöste — dann war er das Bild des >Nous< (ordnender Geist), der sich das schönste und würdigste Gehäuse gebaut hatte.«
    Ich hoffe, es hat sich bei Ihnen, an diesem Punkte angelangt, längst so viel Mißtrauen angesichts meines müden Enthusiasmus und meiner Fremdenführervokabeln angesammelt, daß Sie bereits die Gummistiefel zur Hand haben in der vollkommen richtigen Erwartung eines neuen Rundgangs durch dieses Athen. Nicht, daß auch nur ein Wort bisher nicht der Wahrheit entsprochen hätte; aber welches Land, welches Volk hätte nur eine Wahrheit? Deutschland, werden Sie mir antworten, das heutige Deutschland rundum. Das stimmt, aber es ist eine der seltenen Ausnahmen.
    Wenn man als Besucher, als kurzer Gast voll freudiger Erwartung nach Athen kam, so fand man den einzelnen Menschen so vor, wie man ihn aus Väterzeiten kannte; überall begegneten einem noch unverändert die Männer alten Schlages, der eine ein Solon, der andere ein Mensch wie Aristides, dieser Geflügelhändler ein wahrer Odysseus, jener Schuster ein Megakies, eine Menge fröhlicher Theatraliker, liebenswerter Flunkerer gegenüber dem Leben, Bummler, Gaffer, Schwätzer, Komödianten vor Gott und der Welt, Kinder des ernsten Apoll und des windigen Hermes, der strengen Athene und der schamlosen Aphrodite.
    So waren sie als einzelne.
    Nun kommt das Aber, das große Aber der Perikleischen Zeit: Aber als Masse hatten sie sich verändert. Früher war man eine Art Burggemeinschaft gewesen, ein stabiles Gefüge; jetzt war man eine Großstadt, mit einem riesigen Proletariat, labil, unüberschaubar, anonym. Wo einst der Schuster in der Gasse gesessen und die Sandalen des Herrn Kleophanes oder Psephon genäht hatte, da saßen jetzt zehn Gesellen wie an einem Fließband; der eine schnitt nur noch die Sohlen zu, der andere die Riemen, der dritte nähte, der vierte färbte die Schuhe ein, der fünfte trug sie zum Markt. Den Schuh hatte »niemand« gemacht, so wie nun auch die Politik »niemand« gemacht hatte. Und keiner erfuhr je, wer den Schuh trug. Man lieferte dem Meister kein Werk mehr, man lieferte ihm Arbeitsstunden. Man wohnte auch nicht mehr bei ihm; man empfing seinen Lohn und ging.
    Niemand liebte mehr die Arbeit. Die Steinmetzen, einst Söhne der Stadt und mit dem Schicksal des Marmors, den sie unter den Händen hatten, vertraut, waren jetzt Roboter, Nummern, und sie hielten das für

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