Rosen für Apoll
schlau, denn das schien ihnen eine Trennung ihrer »schmutzigen Arbeit« von ihrer Menschenwürde zu sein.
Wenn sich früher der Färbergeselle zum Panathenaionfest herausputzte, so wollte er die Göttin ehren und das Bild der Straße verschönern. Wenn er es jetzt tat, so wollte er Mimikri treiben; er rechnete mit seiner Anonymität in der Masse und wollte für einen anderen genommen werden. Er sah mit Kopfschütteln auf die Sklaven herab, wenn sie, anscheinend glücklich, nach Feierabend singend in die Weingärten zogen, im Bache badeten und ihren Chiton wuschen, während er selbst ein anderer Mensch wurde und durch die Barbierstuben und Parfümerien schlenderte.
Er sah, daß die Dinge nicht mehr fest standen, sondern im Fließen waren; er sah, wie das Leben jetzt Lotterie spielte; bald vergaß er, daß es eines Einsatzes bedurfte, er glaubte, das Los müsse jeden treffen. Aus der Hoffnung wurde eine stumme Forderung; aus der stummen eine laute. Der Mann aus dem Volke war unruhig geworden!
Athen war voller Unzufriedenheit. Niemand aus der Masse besann sich mehr auf die Vergangenheit, ja auch nur auf das Gestern. Rückständige taten das, Reaktionäre. Man mußte sie belächeln, besser: hassen. Gesteigerte Zuversicht in den nächsten Tag, das war die neue Lebenskunst.
Perikles hatte die Massenseele vollkommen begriffen. Es verging keine Woche, kein Tag, an dem er nicht Neuigkeiten, neue Vergünstigungen, neue Vorschläge, neue Möglichkeiten wie Belladonna ins Volk tropfen ließ. Ständig waren seine Freunde als Stimmungsmacher, Werber und Leuteansprecher unterwegs. Jeder siebente Bürger hatte jetzt ein Amt als Geschworenenrichter. Sechstausend wurden beständig im Turnus für den Rechtsausschuß ausgelost. Fünfhundert, wechselnd, saßen immer im regierenden »Rat«. Alle quatschten in die Politik hinein, heute fällten sie eine gefährliche Entscheidung, morgen stießen sie sie um, übermorgen hatten sie die Lust verloren, erschienen nicht mehr, zahlten in die Staatskasse ihre Versäumnisbuße und gingen in den Markthallen spazieren. Wenn das Geld knapp wurde, forderte man höhere Löhne. In dieser Zeit hörten die Spartaner aus Athen zum erstenmal das Wort »Streik«; sie wußten nicht, was es bedeutete; man mußte es ihnen erklären.
Perikles führte für alle, die in den Ausschüssen oder Räten auch nur den geringsten Gedanken an den Staat verschwendeten, »Tagegelder«, Diäten, ein, die zum Leben ausreichten. Infolgedessen drängte sich ein riesiger Haufe von Eckenstehern und Tagedieben zum »Regieren«, eine Ansammlung von finsterstem Plebs.
Auch mit fleißigem »Kirchenbesuch« konnte man Geld machen. Perikles erfand die Volkstantieme für den Besuch der dionysischen Festspiele. Wer sich einen Tag auf die Ränge setzte und im Staatsdienst lachte, erhielt zwei Obolen.
Was glauben Sie, wer da noch arbeiten wollte? Fremde und Sklaven. Über den Piräus wurde herangekarrt, was gebraucht wurde: Getreide, Wein, Datteln, Feigen, Rosinen, Mandeln, Süßigkeiten, Tuche, Teppiche, Edelsteine, Holz, Gewürze, tausend und aber tausend Kinkerlitzchen und vor allem eins: Sklaven. Die Herren Demokraten haben nämlich nichts gegen Sklaven; Sklaven sind kein Widerspruch zur Menschheitsbeglückung. Nietzsche hat zwar vermutet, daß die Athener über den Sklavenhandel Scham empfanden, aber das ist Unsinn; sie empfanden über die Arbeit Scham. Die Reeder gaben den Bankiers für die Finanzierung von Sklavenzügen dreißig Prozent Zinsen! Die Idioten für die Arbeit mußten herangeschafft werden, koste es, was es wolle.
Die Summen, die der Staat ausgab, waren ungeheuer. Was an Steuern und an Minengewinnen dagegen einlief, stellte nur einen Bruchteil dar. Allein die Volksdiäten fraßen pro Tag über zwölftausend Obolen.
Perikles war kein Zauberer. Die Lösung des Rätsels, woher das Geld kam, wird Sie verblüffen. Jedermann in Athen kannte die Lösung, und niemand nahm daran Anstoß: Athen beraubte die Kasse des Attisch-Delischen Seebundes!
Dieser Bund — Sie kennen ihn — , vergleichbar etwa dem Atlantikpakt, zeitweilig dreihundert Mitglieder stark und entstanden als Blutsbrüderschaf!: und Schutzgemeinschaft Athens mit Ionien, hatte sein Gesicht gewandelt. Aus den Verbündeten waren reine Untertanen Athens geworden. Schon unter Kimon war es losgegangen; als die Insel Thasos aus dem Bund austreten wollte, wurde sie sofort angegriffen und zerstört. Als Ägina dem athenischen Handel ernsthaft Konkurrenz zu machen
Weitere Kostenlose Bücher