Rosen für Apoll
und reich zu werden drohte, stand Perikles auf, erklärte es zum Staatsfeind, zur »Eiterbeule vor dem Piräus«, ließ es überfallen, schleifen, der Flotte berauben und zum Eintritt in den Bund zwingen. Dann wollte Samos, diesmal also eine Großmacht, den Vertrag kündigen. Ergebnis: Angriff, Schleifung, Wegnahme der gesamten Flotte, Festsetzung einer Millionensumme als Reparation. Der Sitz der Bundesbank war längst, um der Schauspielerei ein Ende zu machen, von Delos nach Athen verlegt worden. Niemand hatte noch ein Einspruchsrecht; die Kasse lag nun offen da. Man brauchte bloß hineinzugreifen. Die Mittel schienen unerschöpflich.
War er nicht herrlich, dieser Perikles?
War es nicht golden, das Zeitalter?
War nicht alles einfach? Es war eine Lust zu leben! Wer an das große Erwachen glaubte, war ein Faschist oder Kommunist.
Ich höre Sie sagen: »Und der Parthenon? Die Propyläen? Das Erechtheion? Die Orestie? Die Medea? Der Doryphoros?« Sie fragen? Ich pfeife auf alle Herrlichkeiten aus Marmor, wenn sie zu Grabbeilagen eines Volkes werden! Ich lasse mir die Liebe zu den Lebendigen durch nichts Totes abkaufen, und mich kann nicht ein Werk darüber trösten, daß ich bei einem Volke das Kainszeichen des Untergangs auf der Stirn sehe. Das Gejohle, das Lachen der Masse, die Lust an der sausenden Talfahrt — das in der Geschichte zu entdecken, auf diese Dinge bei Menschen, die man liebt, zu stoßen, das ist ein abscheulicher Augenblick. Nicht das Auf und Ab der Historie ist ein Grund, daß einem der Puls schneller schlägt, sondern die plötzliche Aufweichung der Substanz, der jähe und nicht mehr rückgängig zu machende Zerfall des Herzgewebes, das ist das Schlimme. Und das Herzgewebe bildet leider immer noch die dämliche Masse Mensch, denn wir haben nichts anderes. Die einsamen Großen sind nichts als ihre Masseure, ihre Ärzte oder Priester; Gott mag wissen, wozu dieses Abrackern.
Die Sonne Homers, die Veilchenfelder, Apoll — noch ist das alles da, noch sind die Instinkte die gleichen wie früher. Aber Triebe, neue Triebe haben scharfe Linien in das Gesicht des Volkes gegraben. Die meisten Historiker wollen es nicht wahrhaben, weil sie die Menschen als Hühnerfarm ansehen und das Perikleische Zeitalter nur nach den gelegten Eiern beurteilen, aber es ist dennoch so: Die Athener sind gealtert. Rapide, viel erschreckender als alle anderen Griechen. Lassen Sie sich nicht täuschen, durch kein strahlendes Lachen und keinen federnden Gang. Es gibt untrügliche Zeichen.
Die Athener haben die Unschuld des Herzens und das köstlichste Gut der Griechen, die innere Zeitlosigkeit, verloren. »Ihre einzige Weisheit ist, jeden Zustand zu überholen und fortzuschreiten«, beschimpft Aristophanes sie, Griechenlands Bernard Shaw.
Damit ist das ominöse Wort gefallen für das Narkotikum, an das sich seitdem alle ziellos und ruhelos gewordenen Völker klammern: Fortschritt.
Welch ein Stichwort, Freunde! Drei Minuten, nur drei Minuten noch gönnen Sie mir!
Der Wahn vom »Fortschritt« ist, philosophisch gesehen, ein Denkzwang, der aus einer seelischen Erkrankung kommt. Er tritt epidemisch auf, und zwar immer dann, wenn die Lebenskraft eines Volkes sich zu erschöpfen beginnt. Man findet ihn bei jedem Kulturkreis, jedem Volk, jeder Rasse.
Dieser Denkzwang ist eine Ersatzerscheinung. Die Gehirne der Massenmenschen, die sich, ohne Wachstum oder Erweiterung, sprunghaft emanzipiert haben, verkraften ihr plötzliches Empfinden für große Dimensionen, für Weite, Zeit und Entwicklung nicht; sie verlieren den Halt, sie verlieren das, woran sie sich halten konnten, sie werden halt-los. In dem Worte steckt sehr richtig schon die Bewegung. Sie haben den »Sinn im Kleinen« verloren und sehen keinen im Größeren; sie vermuten nur, daß er irgendwo steckt, daß irgendwo in der Zukunft, irgendwo anders das Ziel, das Lohnende, das Befriedigende ist. Man muß also vorwärts schreiten!
Der wahre Inhalt des Fortschritts ist Wechsel. Mit einer Qualitätssteigerung hat er nichts zu tun, nichts mit einer Höherentwicklung, wie man sie fälschlich immer mit dem Wort Fortschritt verbindet! Auch ein Imkreisedrehen wird von der erkrankten Seele durchaus als Fortschritt empfunden — blicken Sie um sich, und Sie haben den Beweis vor Augen. Die kranke Seele konsumiert die Bewegung, den Wechsel wie eine Droge! Zustände, die zuvor von Dauer waren und auch von Dauer sein sollten, werden jetzt am. laufenden Band »verbraucht«. Der
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