Rosen für die Kaiserin
Schwiegervater in die Krypta der alten Basilika, wo sich das Grab der Edgitha befand. Vor siebenundzwanzig Jahren war die erste Frau des Kaisers gestorben. Der jüngere Otto hatte seiner Gemahlin erzählt, dass der Vater einst an Edgithas Seite bestattet werden wollte.
Tief versunken im Gebet verharrte der alte Kaiser kniend vor der Grabplatte. Er wirkte schwermütig, was sicher auch daran lag, dass der Todestag Christi nahte. Selten hatte Theophanu einen Menschen von solch inbrünstiger Frömmigkeit erlebt. Der Schein der Wandfackeln ließ ihre Schatten an den kalten Wänden tanzen. Schließlich bekreuzigte sich der Kaiser. Theophanu half ihm beim Aufrichten, obgleich ihm dies trotz seiner sechzig Jahre kaum Mühe bereitete. Seine Augen schimmerten feucht – der große Sieger vom Lechfeld war den Tränen nahe. Eine Weile betrachteten Schwiegervater und Schwiegertochter stumm das Grab der Engländerin: So wie Theophanu war auch sie einst aus der Fremde gekommen. Allein deshalb fühlte sich die junge Kaiserin Edgitha verbunden.
»Ich habe sie sehr geliebt«, brach Otto das Schweigen mit brüchiger Stimme. Der mächtige Kaiser schämte sich seiner Blöße nicht.
Seine entwaffnende Offenheit überraschte Theophanu. Sie verspürte das Bedürfnis, ihn tröstend zu umarmen, beließ es aber dabei, ihm ihre Hand zu reichen. Dankbar ergriff er sie.
»Es waren immer starke Frauen um mich, dem Herrgott sei Dank«, sagte er und sah ihr dabei tief in die Augen. »Meinem Sohn scheint ähnliches Glück bestimmt zu sein. Er wird dich brauchen, Theophanu.«
»Unterschätzt ihn nicht, Vater. Er ist stärker, als Ihr glauben mögt.«
Otto der Große schüttelte traurig den Kopf. »Nein, das ist er nicht. Gewiss, großmütig ist er und klug. Er ist auch sehr mutig. Aber stark? Zum Siegen bedarf es mehr als Mut und Verstand.«
Mit einem Mal begriff Theophanu das ganze Dilemma der beiden Männer. Ihr Gemahl war der Sohn eines großen Mannes, der schon zu Lebzeiten zum Mythos geworden war. Die Bürde, die auf den Schultern des Sohnes lag, war nahezu erdrückend, und im Schatten des Vaters wog jeder Fehler doppelt schwer. Vielleicht hatte der alte Kaiser Angst gehabt, ihn hinreichend mit seinen kommenden Aufgaben vertraut zu machen, um ihn nicht versagen zu sehen. Und nun, am Grab der ersten Frau, schienen ihm Zweifel an der Richtigkeit seines Handelns zu plagen.
»Zu spät«, murmelte er tonlos, wie zu sich selbst.
»Zu spät? Was meint Ihr?«
Er deutete auf die Grabplatte. »Schon bald werde auch ich hier ruhen, Theophanu. Neben meiner Edgitha.«
»Ihr seid ein rüstiger Mann. Warum sollten Euch nicht noch viele Jahre vergönnt sein?«
»Meine Zeit ist fast vorüber. Deshalb bin ich froh, dass du an seiner Seite bist, meine Tochter.«
Theophanu legte den Kopf schief und lächelte ihm aufmunternd zu. »Am Ostersonntag, wenn der Herr aus dem Grabe erstanden ist, werdet Ihr Euch besser fühlen.«
Der Kaiser nickte, ohne dass er sonderlich überzeugt wirkte. »Ja. Einmal noch darf ich Seine Auferstehung in dieser Welt feiern.«
Schritte hallten durch die Krypta. Adelheid kam näher. Sie war ohne dienerliche Begleitung, was recht ungewöhnlich war. Ihr Blick war finster getrübt und Theophanu vermutete, dass ihre Anwesenheit der Grund dafür war.
»Ich ahnte, dass ich Euch hier finden würde!«, sagte sie flüsternd zu ihrem Gemahl, der Schwiegertochter kaum Beachtung schenkend.
Theophanu gewann schlagartig eine weitere Erkenntnis: Nicht sie selbst war diesmal der Grund für den Missmut der Kaiserin. Des Kaisers Anweisung, ihn nach seinem Tod neben seiner ersten Frau zu bestatten, musste für Adelheid eine schwere Kränkung, ja eine Demütigung sein. Eine Demütigung, über die sie freilich nie ein Wort verlieren durfte, um nicht kleinherzig zu erscheinen. Treu und ergeben hatte sie dem Kaiser mehr als ein halbes Leben zur Seite gestanden, manchem Sturm hatten sie gemeinsam getrotzt, doch der Tod würde sie nicht nur leiblich voneinander trennen. Otto der Große war entschlossen, dem Tag des Gerichts an der Seite Edgithas entgegenzusehen.
Der unausgesprochene Schmerz der Kaiserin war begreiflich. Theophanu empfand Mitleid mit ihr, wusste aber nicht, wie sie ihr Trost spenden könnte. Ohnehin würde Adelheid niemals ihren Trost annehmen. Nichts anderes besagte der kühle, jegliche Seelenqual abstreitende Blick, mit dem sie Theophanu bedachte.
»Meine Teuerste, ich freue mich, dass auch Ihr gekommen seid!«, begrüßte sie
Weitere Kostenlose Bücher