Rosen für eine Leiche (German Edition)
ihm.«
»Ärger? Was denn für Ärger?«
Sie stellte die Gießkanne auf den Boden und wischte die Hände an
ihrer Schürze ab. »Ach, er war immer so ein lieber Junge. Aber seit er diese
Frau – er ist wie umgewandelt, der Bub.«
Das erste Mal, dass ich Frau Steiner außer Kontrolle sah. Ihre
Mundwinkel fuhren nach unten, die Nasenflügel bebten. Dann nahm sie die
Gießkanne wieder auf. Mit nassen Augen nickte sie mir zu. Trippelnd verschwand
sie hinterm Haus.
Seit sie aus dem Krankenhaus entlassen war, wollte ich sie wegen der
abgeschnittenen Rosen zur Rede stellen. Ich war mir sicher, dass die Steinerin
sehr direkt damit zu tun hatte. Doch sollte ich diese verzweifelte Frau nach
dem Motiv fragen?
Ich fuhr mit Abblendlicht und ohne in einen Stau zu
geraten. Die Fahrtzeit zu Chilis Wohnung betrug achtzehn Minuten.
Es stand fest, dass das Projektil aus der SIG Sauer in Bellinis Hand verschossen worden war. Ballistische Untersuchungen
lügen nicht. In einem Aufschlagwinkel von achtundfünfzig Grad war es in den
Schlamm im Schilf gefahren. Die leere Hülse lag einen knappen Meter daneben.
Die Fahndung der Polizei mit sogenannten Deep-Target-Metallsuchgeräten,
selbst solchen mit Diskriminator-Technik, war bislang erfolglos geblieben. Dann
hatte Chili einen Geologen gefunden, der mit einem Cäsium-Magnetron arbeitete,
mit dem er in der Nähe des Hofstätter Sees hinter Überresten aus der Bronzezeit
her war. Mit diesem Gerät war er unweit der Surfschule in der Hirschauer Bucht
in zweiundvierzig Zentimetern Tiefe auf das Geschoss gestoßen.
»Der Bellini ist also mit halb vollen Lungen ertrunken, bevor er die
Esterding im Boot erschoss«, sagte ich und erwartete von Chili ein Kichern.
»Vorher hat er noch einen Schuss ins Schilf abgefeuert, nur so zum Spaß.«
Im selben Moment musste ich daran denken, was ich über »humane
Foltermethoden« gehört hatte. »Sie träufeln dir Wasser über ein Netz in deinen
Mund, und jedes Mal, wenn du Atem holst, läuft die Lunge ein bisschen mehr voll
mit Wasser.«
Chili saß in einem ihrer hellen, kubistischen Sessel, runzelte die
Stirn und sah dabei seltsam besorgt aus. Ihre Augen wanderten ständig zwischen
der Funkuhr an der Wohnzimmerwand und ihrer Armbanduhr hin und her. Es war
neunzehn Uhr einundzwanzig.
»Was hast du?«, fragte ich. »Worauf wartest du?«
In ihr »Nichts« mischte sich der nervige Ton ihres Telefons.
»Hi, Dad«, sagte sie und schaute wieder zur Uhr.
Ich konnte mir den Triumph in ihren Augen nicht recht erklären.
Sie flüsterte mir zu: »Mein Vater. Er gratuliert mir zum
Geburtstag.«
Dann verschwand sie gestikulierend durch die Tür.
Ich griff mir an den Kopf. Dies war der zweite Geburtstag, den ich
innerhalb kurzer Zeit vergessen hatte. Nur nicht mit so schweren Folgen wie
zuletzt. Meinen Skatfreunden durfte ich davon nichts erzählen. »Alzheimer lässt
grüßen«, wäre ihr einziger Kommentar. Als Chili zurückkam, nahm ich sie wortlos
in den Arm.
»Lass nur, ist doch nicht so wichtig«, sagte sie.
Sie machte sich los und strahlte mich an. »Wichtig ist nur, dass er
angerufen hat und dass er sich gut fühlt. Vollkommen gesund ist er ja nicht,
aber er lässt sich nichts anmerken.« Sie deutete auf die Uhr. »Ich bin abends
um sieben Uhr einundzwanzig geboren. An einem Sonntag.«
Sie drückte meine Hand und sah mir fest in die Augen. Ganz der
Vater.
»Genau zu dieser Minute ruft er mich jedes Jahr zu Hause an.
Deswegen bin ich jetzt in meiner Wohnung, verstehst du? Ärgerliche
Unterbrechung meiner fünfundzwanzigstündigen Tagesarbeitszeit. Früher hat er
mir immer Blumen geschickt, aber das übersteigt heute bei Weitem seine
Möglichkeiten. Ich hab’s ihm ausgeredet.« Lässig hob sie die Hand. »Ich soll
dich herzlich grüßen.«
Chili sah so frisch aus, als wäre sie gerade der Sauna entstiegen.
»Setz dich«, forderte sie mich auf. »Ich mach uns einen Kaffee. Du
machst den Eindruck, als kaust du auf etwas herum. Überlegst du, wie du morgen
mit Priegel weiterkommst?«
Ich wollte nicht noch mehr Zeit verlieren. Die Sache mit der
vollgeträufelten Lunge beschäftigte mich. Ich zog Chili an der Hand von der
Kaffeemaschine weg.
»Lass uns gehen«, sagte ich. »Und frag nicht. Komm einfach mit. Den
Rest erzähl ich dir im Auto.«
Ich musste noch kurz zur Toilette.
»Nimm vorsichtshalber deine Knarre mit«, rief ich zurück, bevor ich
verschwand. Ich schaute mein Gesicht im Spiegel über dem Waschbecken an. Es sah
ziemlich
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