Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken
kam Mrs Glass auf mich zu. »Warum hast du zugelassen, dass sie so was tut?«, fragte sie mich mit klarer, eisiger Stimme. »Du hast doch bestimmt die ganze Zeit gewusst, was das für eine war. Und trotzdem hast du sie allein gelassen mit den Mädchen, mit meiner Stephanie. Ich bin jedenfalls der Meinung, dass du genauso schuldig bist wie sie. Wie konntest du das nur geschehen lassen? Du wusstest genau, wie sie ist!«
Ich erstarrte. Ein Dutzend Mikrofone war auf mich gerichtet und die Kameras zoomten heran. Ich hätte mich einfach umdrehen und weggehen oder Mrs Glass mein Mitgefühl aussprechen sollen. Aber stattdessen machte ich den Mund auf und stammelte dümmlich: »Ich ⦠ich ⦠ich wusste doch nicht, dass sie so ist.«
Das Feuerwerk von Fragen, das auf mein idiotisches Statement folgte, riss mich aus meinem Stumpfsinn, und ich trat schleunigst den Rückzug an. Nach und nach zerstreute sich die Menge und verteilte sich auf die wartenden Fahrzeuge, um zum Friedhof zu fahren.
In diesem Moment richtete sich meine Wut vor allem gegen Casey, denn sie war ja für das alles verantwortlich. Sie hatte mich im Stich gelassen, sodass ich jetzt allein mit diesem ganzen Irrsinn fertigwerden musste. Selbst wenn sie Stephanie nicht umgebracht hatte, war sie leichtsinnig gewesen und hatte damit zugelassen, dass Stephanie getötet wird. Ich musste an Caseys Brief denken. Casey hatte schon recht. Sie war für das alles verantwortlich.
Dieses ganze Chaos ging eindeutig auf ihr Konto. Und ich hatte sie gewarnt. Wenn sie auf mich gehört hätte, wären wir Stephanie gegenüber viel strenger gewesen, aber Casey musste ja unbedingt ihren Kopf durchsetzen. Ich fühlte so eine Wut in mir, dass ich richtig zu zittern anfing.
Ich sah mich suchend nach Mom um. Sie stand auf dem FuÃweg, so weit weg wie möglich von den ganzen Autos, in die jetzt die Trauergäste stiegen. Neben ihr standen Caseys Eltern.
Sie waren also doch gekommen. Ich fragte mich, warum sie nicht im Gottesdienst gewesen waren, denn schlieÃlich gehörten sie zur Gemeinde und hätten mit dabei sein müssen.
Dann kam mir ein plötzlicher Gedanke und ich fuhr herum. Beim Blick in Richtung Kircheneingang sah ich, dass die Rollstuhlrampe abgebaut worden war.
In diesem Moment hasste ich Galloway abgrundtief. Ich hasste meine Heimatstadt so sehr, dass ich keine Worte mehr dafür fand.
Aber noch viel mehr hasste ich mich selber, weil ich genau wusste, dass ich ohne Casey an meiner Seite nicht den Mut hatte, den anderen zu widersprechen.
28.â31. August
7. bis 10. Tag
Inzwischen herrscht offener Kriegszustand. Wir teilen uns auf und versuchen, die Lage auf diese Weise im Griff zu behalten.
Eine von uns übernimmt immer die sieben vernünftigen Kinder und die andere kümmert sich um Stephanie. Trotzdem versuchen wir, als Gruppe zusammenzubleiben und nicht durchblicken zu lassen, dass eine von uns ständig Stephanie-Dienst hat. Aber sie kriegt es trotzdem mit und findet es super.
Das alles ödet mich so an. Es ödet mich an, wenn ich die sieben lieben Kinder zu bespaÃen habe, denn es strengt ziemlich an, sie ständig bei Laune zu halten. Und der Stephanie-Dienst nervt mich noch viel mehr, weil das noch viel anstrengender ist.
AuÃerdem funktioniert der Plan sowieso nicht richtig, weil sie uns dauernd wieder entwischt. Casey hat schon recht â das Kind ist wirklich mutig. Zum Verstecken kriecht sie sogar unter die Hütte, wo es von Spinnen nur so wimmelt, das Unkraut wuchert und sicher auch Schlangennester sind.
Die anderen Betreuer haben auch ein Auge auf sie, genauso wie die erwachsenen Mitarbeiter. Jeder, der sie irgendwo aufgabelt, wo sie nicht hingehört, bringt sie zu uns zurück. Sie bekommt immer wieder Standpauken und Verwarnungen zu hören. Trotzdem macht sie, was sie will. Caseys Mikroskop taucht im Besenschrank ganz hinten im Speisesaal auf. Es ist total kaputt. Stephanie meint dazu nur grinsend: »Beweist es doch!«
Sie klaut ständig. Taschenlampen, Mützen, Schuhe, worauf sie es halt gerade abgesehen hat. Eines Nachts versucht sie noch mal, an Caseys Haarspange mit der Gottesanbeterin zu kommen. Sie klettert in Caseys Doppelstockbett und will sie ihr im Schlaf wegnehmen. Casey wacht gerade noch rechtzeitig auf und schreckt hoch, woraufhin Stephanie anfängt zu kreischen, dass Casey sie fast vom Bett geschubst hätte und sie sich dabei
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