Rosenberg, Joel - Hüter der Flamme 05
Jason. »Ihr beide werdet jetzt aufeinander achten, nicht wahr? Und seid vorsichtig.«
Oder vielleicht doch?
Er hob die Achseln. »Nicht der Rede wert. Ein Katzensprung nach Endell. Und auf Ellegons Rücken ist schon gar nichts zu befürchten. Nicht der Rede wert«, wiederholte er.
Warum klangen ihm seine eigenen Worte so unecht in den Ohren? Er hatte doch keineswegs übertrieben: Was sie vorhatten, war allenfalls ein Kurzurlaub, nichts weiter.
Andrea schien ihn nicht gehört zu haben. »Ich habe Janie seit einer Ewigkeit nicht gesehen. Liebe Güte, sie muß inzwischen so groß sein wie du. Und die kleine Doria Andrea kenne ich nur aus Walters und Kirahs Briefen.« Sie zwinkerte Doria zu. »Obwohl mir nicht entgangen ist, daß man dir den ersten Platz eingeräumt hat.«
»Immerhin«, meinte Doria, »sie Andrea Doria zu nennen, wäre ein ...«
»Nein, sag's nicht!«
»... wäre eine Katastrophe gewesen.«
Die beiden Frauen von der Anderen Seite kicherten wie die Schulmädchen. Jason saß ratlos auf der Bettkante und breitete zum Zeichen seiner Unwissenheit die Hände aus als Aeia ihn fragend anblickte, um ihm gleich darauf mit einem Schulterzucken zu verstehen zu geben, daß auch sie keine Ahnung hatte, worum es eigentlich ging.
Doch das Lachen war ansteckend, und Jason und Aeia konnten nicht anders, als darin einzustimmen.
Lachend fiel der Abschied leichter.
Doria gesellte sich im Korridor zu ihnen. »Es geht ihr wirklich nicht besonders gut. Sie hat zu lange vorgetäuscht, bei bester Gesundheit zu sein und damit alles noch verschlimmert. Also möchte ich, daß sie ausruht und sich keine Sorgen macht ... Und ich möchte, daß ihr beide pünktlich zum verabredeten Zeitpunkt wieder hier eintrefft. Verstanden?« Aeia umarmte sie. »Verstanden, Tante Doria.« Jason nickte. »Auch ich werde dich vermissen.« Sie biß sich auf die Lippen und lächelte. »Das ist auch einer der Gründe, mein Junge. Paßt auf euch auf.«
Zweiter Teil
Heim
Kapitel acht
Vor den Toren Enkiars
›Verschiedenes‹ ist stets die umfangreichste Kategorie.
Slowotskis Gesetze
Die Nacht war droben hell und klar, drunten finster und bedrohlich. An Backbord, etwa eine Meile unter Ellegons ausgebreiteten Schwingen, erhellten armselige Laternen die stumpfe Düsternis der Straßen Enkiars. Vom westlichen Rand der Stadt leuchtete die rote Glut von drei Müllverbrennungsfeuern herauf.
Die Sterne flimmerten grell, während träge wallende Feenlichter scharlachrote und hellblaue Schleier über den Himmel breiteten. Wieder versuchte Jason, nach vorn zu blicken, an Ellegons langgestrecktem Hals vorbei, doch der brausende Flugwind trieb ihm die Tränen in die Augen. Er wischte sich die salzige Flüssigkeit aus dem Gesicht und sank in die Gurte zurück.
Eine schwielige Pratze legte sich auf seine Schulter. »Es kann nicht mehr weit sein«, übertönte Durines Stimme den Wind und das Schlagen der Flügel. »Wir landen jeden Augenblick.« Der Griff um Jasons Schulter verstärkte sich zu einem beruhigenden Druck.
Hinter Durine, halb verborgen von festgeschnürten Leinwandsäcken, duckten sich die anderen in ihren Sätteln: Kethol schaute mit großen Augen und merklichem Unbehagen in die Tiefe, während Tennetty lediglich eine wachsame Gleichmut erkennen ließ. Aeia betrachtete den Ritt auf dem Rücken eines Drachen als etwas Selbstverständliches - sie war mit Ellegon geflogen, bevor Jason auf die Welt kam -, während Bren Adahan einen starren Ausdruck angespannter Gelassenheit zur Schau trug.
*Auf dem ersten der üblichen Lagerplätze waren sie nicht*, berichtete Ellegon. *Also versuchen wir es beim nächsten.*
Obwohl Enkiar sich für einen Status militanter Neutralität entschieden hatte und die Stoßtrupps aus Heim in den Wäldern westlich und nördlich der Stadt unbehelligt ihr Lager aufschlagen konnten, wurde diese Neutralität außerhalb der Stadt doch nicht immer mit dem gehörigen Nachdruck gewahrt. Obwohl Fürst Gyrens Truppen innerhalb der Mauern für Ordnung sorgten, ließ die Disziplin in den äußeren Bezirken rapide nach.
Doch auch letzteres hatte seine Vorteile. Enkiars Neutralität hinderte die Soldaten aus Heim nicht daran, sich nützliche Informationen zu beschaffen. Einige Male war es ihnen gelungen, aufgrund solcher Informationen eine Karawane der Sklavenhändler in einen Hinterhalt zu locken. Andererseits verfügten auch die Sklavenhändler über ihre Zuträger. Frandreds Trupp war seinerzeit in eine von ihnen
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