Rosenberg, Joel - Hüter der Flamme 05
Wundrändern war rot und geschwollen.
Nachdem er in der Nähe von Neu-Pittsburgh auf einen Trupp Freischärler aus Heim gestoßen war, hatte man Boten vorausgeschickt, um sein Kommen anzukündigen. Also war er nicht sehr überrascht, daß man sich im Burghof versammelt hatte und ihn erwartete.
Trotzdem war es gut, sie alle wiederzusehen, nach dieser viel zu langen Zeit.
Er ließ sich steifbeinig aus dem Sattel gleiten und warf seine Waffen zu Boden.
Kirah, Dorann auf den Armen, kam auf ihn zugelaufen. Sie fiel auf die Knie, vergrub das Gesicht an seiner gesunden Schulter und weinte.
»Ta havath, Kirah, ta havath«, sagte er und tätschelte unbeholfen ihren Rücken. »Als ich ihn zuletzt gesehen habe, ging es Walter gut.« Aber das war schon verdammt lange her.
Vor drei Wochen hatte ihn der Pfeil in die Schulter getroffen, doch er verbiß den Schmerz, um die kleine Dorann aufzuheben. Sie schaukelte vergnügt auf seinem Unterarm, dann pflanzte sie ihm einen feuchten Kuß auf die Wange.
»Ich hab dich lieb, Onkel Ahira«, sagte sie mit heller Stimme.
Er umfaßte das Kind mit Armen, die den Brustkorb eines Mannes zerquetscht hatten, als wäre es ein Sack dürrer Zweige. Hände, die gerötet und zerstört hatten, spielten mit ihrem schulterlangen Haar. »Du hast eine neue Frisur, hm?« fragte er.
Sie nickte und lachte glucksend. »Tante Doria und Tante Andy haben das gemacht.«
Sie standen vor ihm, und Doria sah aus wie manchmal in seinen Träumen: jung, wenn man nur die Arme, den Hals und das Gesicht anschaute und den Ausdruck in ihren Augen nicht zur Kenntnis nahm.
Ohne Dorann abzusetzen, legte er Doria den linken Arm um die Taille. »Es ist gut, dich wiederzusehen, alte Freundin«, sagte er und verfluchte das Beben in seiner Stimme. »Ist Ellegon hier?« fragte er dann, obwohl er seit Stunden mit seinen Gedanken nach dem Drachen gerufen hatte.
»Nein.« Doria schüttelte den Kopf. »Er versucht, Jason und die anderen in Mipos zu treffen. In ein oder zwei Tagen wird er zurück sein - mit ihnen, hoffe ich.« Sie biß sich auf die Lippen.
Thomen Furnael stand ein paar Schritte abseits, das Gesicht in sorgenvolle Falten gelegt. Wie immer war er sehr formell gekleidet: Hose, leichtes Hemd, den schwarzen Umhang über dem Arm. »Wir müssen es wissen, Ahira: Lebt er noch?«
Andreas Gesicht war eine Maske des Kummers. Sie brauchte nicht zu fragen.
Gott, sie sieht alt aus.
Der Zwerg schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Er hat sich in Melawei in die Luft gesprengt, so wie Jason und die anderen es euch berichtet haben müssen. Gebt mir was zu trinken und wartet, bis ich in einer Wanne mit heißem Wasser sitze, dann will ich euch alles erzählen. Uns bleiben noch ein oder zwei Tage, bevor wir etwas unternehmen können. Falls es dann noch Zweck hat.«
Im Waschraum der Offiziere, über den Barracken, war bereits alles für ein Bad vorbereitet. Ahira hockte in dem Eichenzuber, bis zum Hals in heißem Wasser, umwogt von weißen Dampfschwaden.
Es war eine Ewigkeit her, seit er das letztemal Gelegenheit gehabt hatte, diese Wohltat zu genießen.
Er lehnte sich zurück und wartete darauf, daß seine Muskeln sich lockerten. Sie waren so straff gespannt wie die Diskantsaiten einer Laute.
Es hatte sich so vernünftig angehört, als Walter an der Küste von Melawei seinen Plan entwickelte.
»Sieh mal«, hatte Walter gesagt, »er ist tot, und daran läßt sich nichts mehr ändern.«
»Ändern können wir nichts, nur die Überreste einsammeln und begraben«, stimmte Ahira zu, der in der heißen Sonne vor Karls Hand kniete.
Es war Karls linke Hand: Vor langer Zeit hatte er - auch durch eine Explosion - die drei äußeren Finger verloren.
Wie durch ein Wunder war die Hand unversehrt geblieben. Die Explosion hatte sie am Gelenk glatt abgetrennt und annähernd hundert Meter weit durch die Luft geschleudert.
Schon waren die allgegenwärtigen Ameisen zur Stelle, doch Ahira konnte sich nicht überwinden, die Hand aufzuheben oder die Insekten abzustreifen.
Verdammt, verdammt, verdammt.
»Wir können ihn nicht wieder ins Leben zurückrufen«, sagte Walter, »aber wir können verhindern, daß er stirbt.«
»Du hast wieder eine deiner schlauen Ideen, Slowotski«, murrte der Zwerg. »Wird ein schöner Blödsinn sein.« Doch er meinte nicht, was er sagte. Es war die gewohnheitsmäßige Nörgelei, die sich in den langen Jahren ihrer Freundschaft zwischen ihnen eingespielt hatte.
»Zuerst begraben wir diese Hand und alles
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