Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
seine Schulter auf das Display sehen zu können. Da läuft gerade der Take, wo der Besitzer niedergestochen wird und zu Boden stürzt. Kurz darauf folgt auch schon der Zoom auf das Gesicht des Toten, der in seinem eigenen Blut auf der Straße liegt.
»Das ist doch gestellt, oder?«
Moritz dreht sich erschrocken zu ihr um und lässt schnell das ausgeklappte Display zuschnappen.
»Ich weiß es nicht, keine Ahnung«, antwortet er ehrlich, während man aus seinem Handy Pascals Stimme quäken hört.
»Was ist denn los? Moritz? Bist du noch da?«
»Ich muss Schluss machen. Wir sehen uns um neun«, beendet Moritz hastig das Telefonat, ehe er sich wieder Anne zuwendet, die ihn verunsichert mustert.
»Hast du irgendetwas damit zu tun?«
»Vielleicht gar nichts. Vielleicht alles. Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht!«
»Geht das auch ein bisschen konkreter?« Anne ist nicht der Typ, der sich mit rätselhaften Antworten begnügt.
»Das da …« Moritz zeigt auf die Kamera, und fast scheint er erleichtert, dass er es Anne erzählen kann. »… dieser Diebstahl und der Mord, das ist eins zu eins eine Geschichte, die ich vor Kurzem erst geschrieben habe.«
»Das ist doch Blödsinn!«
»Ist es nicht. Na ja, vielleicht doch, aber ich kann das Risiko nicht eingehen.«
Anne betrachtet Moritz lang, und wenn man jetzt in ihren Kopf blicken könnte, würde man dort bestimmt ROSENDORFER-KRANKHEIT lesen können, und zwar gefettet, unterstrichen und in Großbuchstaben.
»Ich treffe mich heute Abend noch mit einem Kollegen«, erklärt Moritz. »Vielleicht weiß der mehr.«
»Der mit den Espressotassen und der fehlenden Niere?«, fragt Anne.
»Genau der.«
»Da bin ich aber mal gespannt, was das für ein Typ ist.«
»Eigentlich wollte ich …«
»Stör ich da etwa?«, unterbricht ihn Anne, und spätestens jetzt ist klar, dass sie ihn nicht allein dorthin gehen lassen wird. Sie wird ihn nirgendwo mehr allein hingehen lassen.
»Nein, nein, überhaupt nicht«, antwortet Moritz wenig überzeugend. »Aber du bist bestimmt müde. Und morgen hast du wieder Dienst. Da musst du doch früh raus, oder?«
»Mach dir um mich keine Sorgen«, sagt Anne, und so, wie sie es sagt, hört man, dass sie es ist, die sich hier Sorgen macht. Und zwar um Moritz.
Die beiden steigen wieder ein, und Moritz drückt weiter aufs Gas. Ich gehe erst mal in Ruhe in der Raststätte einen dünnen Kaffee trinken. Im Gegensatz zu Moritz und Anne habe ich noch nicht gefrühstückt. Ich treffe die beiden später wieder. Heute Abend in der SonderBar.
30 / 10 / 2015 – 20 : 51 Uhr
Als ich in der SonderBar ankomme, sitzen Moritz und Anne bereits an einem Tisch und warten auf Pascal. Die Kamera liegt vor ihnen, als wäre es das entscheidende Beweisstück in einem wichtigen Prozess – und das ist sie ja wohl auch. Der Laden ist voll, sehr voll sogar, obwohl heute weder Musiker noch Dichter auf der Bühne stehen. Vielleicht ist genau deswegen heute so viel los, wer weiß das schon? Nur mit Mühe kriege ich noch einen Platz an der Theke.
Moritz ist sichtlich nervös und lässt die Tür nicht aus den Augen. Als ich reinkomme, schaut er auch mich kurz an. Er runzelt die Stirn, grübelt vielleicht, wo er mich schon gesehen hat, dann ist der Moment der Irritation auch schon vorüber. Weil ich weder Pascal noch einer von den beiden Schwulen, die keine Schwulen sind, bin, beachtet er mich nicht länger als nötig. So eine Allerweltsvisage wie meine ist in dem Job echt unbezahlbar.
Von der Theke aus kann ich Anne und ihn gut beobachten. Seit ich da bin, haben sie vielleicht vier oder fünf Sätze gewechselt, und die gingen in ihrer inhaltlichen Tiefe nicht über »Willst du auch noch ein Bier?« und »Ganz schön viel los hier heute Abend« hinaus. Über den Film und Moritz’ Geschichten reden sie nicht. Anne hat es zweimal versucht, doch Moritz hat bei dem Thema dichtgemacht. Jetzt ist sie genervt, das kann ich sehen, weil sie wieder an den Bügeln ihrer Brille herumkaut. Wahrscheinlich zweifelt sie bereits daran, dass es Pascal überhaupt gibt. Grund dafür hätte sie, denn Pascal lässt sich nicht blicken. Moritz hat schon mehrmals versucht, ihn anzurufen, aber immer nur die Mailbox drangehabt.
Ich trinke mittlerweile schon das dritte Glas Wasser und müsste mal aufs Klo. Aber das kann ich nicht, weil ich auf keinen Fall verpassen will, wenn Pascal hier endlich auftaucht. Ich bin viel zu gespannt, was Moritz seinem Freund erzählen wird.
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