Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
Ich kann warten. Anne offensichtlich nicht.
»Es ist spät, der kommt nicht mehr. Lass uns gehen«, drängelt sie.
Moritz sieht auf die Uhr. Es ist fast zehn, und selbst er scheint nicht mehr daran zu glauben, dass Pascal noch kommt.
»Okay, ich bring dich nach Hause«, sagt er, doch genau in dem Augenblick, als er aufstehen will, geht die Tür auf, und die zwei Schwulen, die keine sind, betreten die Kneipe. Als Moritz sie bemerkt, wird er ganz blass im Gesicht. Seit dem Video weiß er oder glaubt er zu wissen, dass das hier kein Spiel mehr ist. Dabei hätte ich ihm das gleich sagen können. Es ist nie nur ein Spiel.
»Komm, wir gehen hinten raus«, sagt Moritz. Er schnappt sich die Kamera und packt Anne am Arm.
»Warum das denn?« Anne versucht, ihren Arm aus Moritz’ Griff zu befreien. »Was soll das?«
»Das erklär ich dir später.«
Er zieht sie mit sich in Richtung der Klos, und ich folge ihm unauffällig. Da wollte ich sowieso schon die ganze Zeit hin. Als Moritz sich umdreht, sieht er, dass sich auch die zwei Fremden durch die Menschen schieben, um hinter ihm herzukommen. Moritz fängt plötzlich laut an zu brüllen: »Feuer, Feuer!«
Das ist zwar nicht besonders originell, aber wirkungsvoll. Vor allem, weil der Brillenmützenmann im Flur, der zu den Klos führt, sein ganzes Bühnenequipment lagert. Darunter ist auch eine Nebelmaschine. Ohne Anne loszulassen, schaltet Moritz die Anlage im Vorbeilaufen ein und richtet die Düse so aus, dass der ganze Qualm in die SonderBar gepustet wird. Dazu schreit er noch einmal laut: »Feuer! Feuer! Hier hinten brennt es! Alles raus! Schnell! Feuer! Feuer!«
In der Bar bricht sofort Panik aus. Deswegen kann ich leider nicht verstehen, was Anne sagt, die Moritz anguckt, als wäre er verrückt geworden.
Alles drängt nach vorn zum Ausgang, abgesehen von mir und den beiden Schwulen, die keine sind. Die Leute brüllen verzweifelt und wollen einfach nur raus. Sie haben Angst, dass in den Flammen gleich die Tequilaflaschen hochgehen. Die Menschen verhalten sich wie eine Horde Büffel, die alles niedertrampelt, weil irgendwo am Rande der Savanne ein hungriger Löwe aufgetaucht ist. Nur, dass es hier keinen Löwen gibt und vor allem keine weite Savanne, sondern nur einen ziemlich engen Raum, in dem eine solche Stampede doppelt so zerstörerisch wirkt. Tische und Stühle gehen zu Bruch, und ohne ein paar gezielte Tritte und Schläge hätte ich keine Chance, Moritz zu folgen. Das gelingt mir besser als meinen unbekannten Kollegen, die von der Masse mitgerissen und nach draußen gedrängt werden. Ich hatte ja schon vermutet, dass die zwei nicht so tough sind, wie sie tun.
Moritz hat mittlerweile eine unverschlossene Tür entdeckt, die zwischen den Damen- und den Männerklos liegt und auf der »Privat« steht. Dahinter liegt das Flaschenlager der Bar, und von dort führt eine enge Treppe hinunter in einen dunklen, staubigen Keller. Dort ist es endlich wieder so ruhig, dass ich verstehen kann, was Anne sagt.
»Ich geh keinen Schritt, ehe du mir nicht erzählst, was das hier werden soll!«, schreit Anne ihn an. Sie zittert, und wenn mich nicht alles täuscht, weint sie auch.
Moritz hat ihren Arm gepackt und zieht Anne immer noch hinter sich her, ohne ihr zu antworten. Dabei sieht er sich immer wieder um, aber weil ich mich dicht an die Wand presse und es hier unten ziemlich düster ist, kann er mich nicht entdecken.
Am Ende des Kellergangs ist eine Stiege, die nach draußen führt und über die Fässer und Getränkekästen angeliefert werden. Von innen ist die Tür nur mit einem Riegel verschlossen. Moritz schiebt ihn schnell zur Seite und klettert mit Anne durch die Luke auf eine ruhige Seitenstraße hinaus. Aus der Ferne sind die aufgebrachten Gäste der SonderBar und die Sirenen einiger Feuerwehrwagen zu hören, die sich schnell nähern. Anscheinend hat da drinnen immer noch keiner gemerkt, dass das Ganze ein Fehlalarm ist.
»Kannst du mir mal sagen, was hier los ist? Spinnst du jetzt völlig?! Was war das da gerade für ein Scheiß?!«, faucht Anne, und das wundert mich gar nicht. Wenn mein Freund einen falschen Feueralarm auslösen und mich wortlos durch einen staubigen Keller zerren würde, hätte ich auch gern eine Erklärung für dieses – mal ganz vorsichtig ausgedrückt – etwas merkwürdige Verhalten.
»Die verfolgen mich. Ich weiß nicht, wer die sind und was die wollen, aber die sind hinter mir her. Seit ich in dem Verlag arbeite«, erklärt Moritz,
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