Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
unterstrichen.
Moritz’ Hände fangen an zu zittern. So wie es aussieht, scheint er dasselbe zu denken wie ich. Mit P kann nur Pascal gemeint sein, und »aus dem Verkehr ziehen« bedeutet garantiert nicht, dass man ihm den Führerschein abnehmen wird.
Dr. Kleiber, also Hobbe, hat derweil die Hände gefaltet und sieht Anne ernst an: »Herr Rosendorfer ist Patient unserer Tagesklinik. Wenn er morgens seine Wohnung verlässt, geht er in kein Büro, sondern er kommt zu uns. Er bildet sich Dinge ein, seltsame Dinge, und wir haben die Befürchtung, dass er mittlerweile nicht mehr zwischen der Realität und seiner – wie Sie sicher selbst wissen – sehr ausgeprägten Phantasie unterscheiden kann.«
»Sie meinen, er ist verrückt?«
»Ich könnte es wissenschaftlicher ausdrücken, aber im Kern haben Sie recht.«
Anne sieht fast ein bisschen erleichtert aus, weil es ihren eigenen Verdacht bestätigt.
»Es gab da wohl schon ähnliche Fälle in seiner Familie. Seine Mutter nennt es die Rosendorfer-Krankheit.«
»Ich weiß. Es ist sehr gut möglich, dass es sich dabei wirklich um eine erbliche Veranlagung handelt«, erwidert Hobbe. Er faltet die Hände auseinander und greift an den Brötchenhälften vorbei über den Tisch. Er legt seine Hand auf Annes. So ähnlich wie vorhin bei Moritz. »Um ihm zu helfen, brauchen wir Ihre Hilfe.«
»Wie denn?«
»Wir können ihn nicht gegen seinen Willen bei uns behalten. Manchmal verschwindet er, und wir wissen nicht, wohin. Aber vielleicht können Sie ein wenig auf ihn aufpassen. Ich hoffe, ich überfalle Sie nicht allzu sehr mit meinem Anliegen. Aber wir machen uns ja beide Sorgen um ihn.«
»Ja, ja, natürlich.«
»Dann will ich Sie auch nicht länger aufhalten.« Hobbe zieht seine Hand zurück und erhebt sich. »Danke noch mal, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.«
Hobbe geht und lässt seine unangerührte Tasse Kaffee und Anne am Tisch zurück. Kurz vor der Tür dreht er sich doch noch einmal um.
»Er wird ganz sicher alles abstreiten, wenn Sie ihn darauf ansprechen. Lassen Sie sich ruhig von ihm zu dem Büro führen, in dem er angeblich schreibt. Vielleicht hilft das. Und wenn es Schwierigkeiten gibt, rufen Sie mich an. Tag und Nacht. Hier steht meine Mobilnummer drauf.«
Hobbe kommt noch einmal an den Tisch zurück und reicht ihr eine Karte, und eins muss man ihm lassen: Clever ist er, und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich auch glauben, dass Moritz sich das alles nur ausgedacht hat.
Als ahnte er, mit wem sich Anne gerade trifft, fangen Moritz᾽ Hände noch stärker an zu zittern. Aber das kann er natürlich gar nicht wissen, und es liegt auch nicht an Dr. Kleiber alias Hobbe. Es liegt an dem Terminkalender, den er in dem Schrank gefunden hat. Darin ist für morgen Abend ein Eintrag. Morgen ist Halloween, und da hat Hobbe einen Termin für 22 Uhr notiert. Neben der Uhrzeit steht »Moritz’ Höhlenstory« und eine Anfahrtsskizze zur Senkenfallhöhle, die bei seinen Eltern direkt um die Ecke liegt.
Plötzlich zuckt Moritz zusammen. Der surrende Motor einer schwenkbaren Überwachungskamera, die in einer Ecke des Zimmers hängt, hat ihn erschreckt. Die Kamera hat ihn jetzt genau im Fokus und zoomt auf ihn scharf. Moritz dreht sich um und blickt genau in die Linse des Objektivs. Panisch lässt er den Ordner fallen und greift zu der Pistole, auch wenn ich nicht glaube, dass er weiß, wie man mit so etwas umgeht. Moritz zögert einen Augenblick, schaut noch einmal in die Kamera, als könnte er dahinter Hobbe erkennen. Dann rennt er los, raus aus dem Zimmer, raus aus dem Verlag, raus aus dem Haus.
Ich werfe den Laptop auf den Beifahrersitz. Hobbe hat sich bei Anne verabschiedet, und Moritz müsste gleich durch die Haustür auf die Straße stürmen. Tut er aber nicht. Er bleibt hinter der Glastür stehen, weil er auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Schwulen, die keine sind, entdeckt hat. Genau wie ich warten sie schon eine ganze Weile auf ihn. Die beiden Anfänger haben ihn noch gar nicht entdeckt. Sie frühstücken. Einer der beiden hat Rühreibrötchen besorgt, und sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Anzüge vor den rechts und links hinunterpurzelnden Eigelbkrümeln zu schützen. Die haben keine Augen für die Tür. Moritz kann das nicht erkennen, er drückt sich im Flur an die Wand, sodass er von der Straße aus nicht gesehen wird.
Erst als ein Müllwagen vorfährt, um die blauen Tonnen abzuholen, nutzt er die
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