Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
Deckung und verlässt das Gebäude. Die Rühreifrühstücker merken davon nichts. Der Müllwagen nimmt ihnen die Sicht, wenn sie überhaupt aufgepasst haben. Meiner Kamera entkommt Moritz jedoch nicht. Ich starte den Motor und lasse die beiden Anfänger in Ruhe zu Ende essen. Irgendwann werden sie schon merken, dass ihr Zielobjekt längst über alle Berge ist.
Moritz nutzt die Deckung des langsam fahrenden Müllwagens bis zur nächsten Ecke. Dann sprintet er, so schnell er kann, den Bürgersteig entlang, bis er an eine Straßenecke kommt, an der er sich suchend umblickt. Er wendet sich nach rechts, und jetzt erkenne ich, wonach er Ausschau gehalten hat. Am Ende der Straße leuchtet ein blaues POLIZEI -Schild. Ich hatte ihn für cleverer gehalten, aber gut: Ich bin nur sein Schatten, nicht sein Kindermädchen.
31 / 10 / 2015 – 10 : 09 Uhr
Aufgeregt stürzt Moritz in die Polizeiwache. Ich warte draußen und beobachte das Ganze mit heiterer Vorfreude aus sicherer Entfernung am Monitor. Das wird ein Heidenspaß, da bin ich mir sicher, und davon will ich keine Sekunde verpassen.
Am Tresen nimmt ein Polizist gerade die Anzeige einer alten Dame auf.
»Welche Farbe hat denn nun Ihr Hund?«
»Er ist braun, nein, eher brünett.«
Moritz drängelt sich dazwischen. »Ich muss eine Anzeige aufgeben. Es ist dringend.«
»Hoppla, junger Mann, nicht so stürmisch mit den jungen Pferden. Ich war zuerst da«, weist ihn die alte Dame streng zurecht.
»Setzen Sie sich da vorn hin und warten Sie, bis Sie dran sind.« Der Polizist zeigt auf einen Plastikstuhl, der an der Wand steht.
»Ich hab aber keine Zeit, zu warten. Es ist wichtig«, ruft Moritz. Er brüllt noch nicht, ist aber auch nicht mehr weit davon entfernt. Er ist aufgewühlt, und das kann ich verstehen.
»Hier geht es der Reihe nach. Setzen Sie sich bitte«, erklärt der Polizist unbeeindruckt, weil er es bestimmt häufiger mit durchgeknallten Typen zu tun hat.
»Das geht nicht! Das ist völlig unmöglich!« Jetzt brüllt Moritz doch, und zwar so laut, dass ich die Lautstärke runterdrehen muss.
Der Polizist nimmt Augenkontakt mit einem Kollegen auf, der hinter ihm sitzt. Der Beamte steht auf und öffnet eine Klappe im Tresen.
»Kommen Sie mal mit«, sagt der zweite Polizist, während er weiter die Klappe hochhält, damit Moritz ihm nach hinten folgen kann.
»Wohin?«, fragt Moritz misstrauisch.
»Sie wollten doch eine Anzeige aufgeben, oder?«
»Ja, natürlich«, murmelt Moritz.
Der Polizist führt ihn in ein Büro. Es ist viel kleiner als Moritz’ Büro im Verlag, und schlechter ausgestattet ist es auch. Der PC ist veraltet, die Tischplatte zerkratzt, und vor den Fenstern sind Gardinen, die schon mindestens seit zwanzig Jahren dort hängen und seitdem sicher nicht einmal gewaschen wurden. Der Polizist bietet Moritz einen Stuhl an und setzt sich ihm gegenüber. Aus einer Thermoskanne gießt er Tee in einen Becher, der mit dem Bild eines lächelnden Stiers und der Textzeile »Bullen sind auch nur Menschen« bedruckt ist.
»Auch eine Tasse?«, fragt er, aber Moritz schüttelt nur den Kopf.
Der Polizist nimmt einen Schluck und sieht Moritz aufmunternd an: »Na, dann schießen Sie mal los!«
Die folgende halbe Stunde erzählt Moritz dem Polizisten die ganze Geschichte: Vom Anfang in der SonderBar bis zu dem geheimnisvollen Schrank. Nur von der Pistole, die er eingesteckt hat, sagt er nichts.
»Sie wollen also sagen: Zuerst gab es Ihre Geschichte und dann diesen Mord an dem Mann mit der Kamera«, fasst der Beamte zusammen, als Moritz endlich fertig ist.
»Genau.«
»Und Sie sind dafür bezahlt worden?«
»Für die Geschichte, nicht für den Mord. Verstehen Sie denn nicht?! Es sollte nur ein Buch werden. Und jetzt, jetzt wird es noch mehr Tote geben, wenn Sie nichts dagegen unternehmen.«
Moritz hält es nicht länger auf seinem Stuhl. Er springt auf, läuft herum, während der Polizist ihn über den Rand seines Teebechers beobachtet und überlegt, ob er es mit einem normalen oder einem gefährlichen Irren zu tun hat. Das würde ich jedenfalls an seiner Stelle tun.
»Und woher weiß ich, dass das nicht auch nur so eine Geschichte ist? Sie müssen zugeben, das klingt alles ziemlich unwahrscheinlich.«
»Aber doch nur, weil Sie keine Phantasie haben.« Moritz schlägt so aufgebracht auf den Tisch, dass die Thermoskanne wackelt. Den Polizisten kann er damit nicht aus der Ruhe bringen.
»Dafür haben Sie anscheinend genug davon. Hören Sie, ich
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