Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
vorm Verlag fährt Hobbe in seinem Sportwagen vor, und das wundert mich jetzt schon, wo Moritz den doch gestern Abend vor der SonderBar hat stehen lassen. Nicht wegen des Schlüssels, Hobbe hat bestimmt einen zweiten. Ich frage mich nur, wie konnte er wissen, wo der Wagen stand?
Er parkt den Wagen vor dem Haus und steigt aus. Dann betritt er das Gebäude und fährt mit dem Aufzug in den dritten Stock.
Als Moritz aufwacht, sitzt Hobbe ihm in Pascals Stuhl gegenüber und blättert in den Ausdrucken, die überall verstreut liegen. Es dauert eine Weile, bis Moritz ganz bei sich ist.
»Und wie war’s?«, fragt Hobbe zur Begrüßung.
»War was?«, fragt Moritz verwirrt zurück.
»Na, dein Ausflug mit deiner Freundin?«
»Ach so, das. Gut. Gut war’s«, antwortet Moritz immer noch ganz benommen, und das kann ich gut verstehen. Die Nacht war für uns beide kurz.
»Was heißt gut? Gut im Sinne von: Ihr seid wieder zusammen?«, erkundigt sich Hobbe, den das Privatleben seines Adoptivsohns wirklich zu interessieren scheint.
»Ja schon, vorübergehend zumindest.« Moritz wird so langsam wach. »Aber das ist jetzt nicht so wichtig. Sehen Sie sich lieber das hier an!«
Moritz hält Hobbe die Kopien hin, die ihm eben noch als Kopfkissen gedient haben. Hobbe überfliegt die Blätter und lässt sie dann achtlos auf den Boden fallen.
»Das sind nur irgendwelche Blogger. Du weißt doch, die schreiben jeden Mist. Und das meiste davon haben du und Pascal selbst ins Netz gestellt.«
»Das steht auch in den Zeitungen, sogar die Nachrichtenagenturen berichten darüber mit Fotos und Zeugen. Das sind unsere Geschichten: eins zu eins.«
»Natürlich sind sie das. Die Leute haben sie gehört und für wahr gehalten. Besser kann es für unser Projekt gar nicht laufen. Außerdem …«
»Und was ist damit?«, unterbricht ihn Moritz. Er nimmt die Kamera und lässt den Film laufen.
Hobbe schaut eher desinteressiert auf das kleine Display.
»Das da ist eine sehr gute Fälschung.«
»Und wenn nicht?« Moritz hält Hobbe die Kamera direkt vor die Nase. Das Filmbild ist eingefroren genau in dem Moment, als das Objektiv auf das Gesicht des Toten zoomt.
»Dann könntest du auch nichts dafür, dass sich da draußen ein Verrückter zum Vollstrecker deiner Ideen aufspielt.« Hobbe drückt Moritz’ Arm mit der Kamera zur Seite. »Aber wenn du mich fragst, ist das da nur ein Dummejungenstreich.«
»Ich mach nicht mehr mit. Ich steig aus.« Moritz knallt die Kamera auf den Tisch und springt auf.
»Du willst was?« Hobbe beugt sich über den Schreibtisch zu Moritz hinüber. Er wirkt plötzlich ganz ernst.
»Mir wird das alles zu heiß. Ich steig aus.« Moritz läuft in dem Raum auf und ab wie ein Panther in seinem Käfig.
»Das geht nicht.« Auch Hobbe ist aufgestanden und versperrt Moritz den Weg.
»Klar geht das.« Moritz versucht, Hobbe zur Seite zu schieben, aber der hält ihn fest.
»Was denkst du, was wir hier machen?«
»Ein Buch«, antwortet Moritz.
»Das hast du echt geglaubt?« Hobbe lacht. Es ist ein trauriges Lachen.
»Was denn sonst?«, fragt Moritz irritiert.
Hobbe wendet sich von Moritz ab und greift in einen der Kartons, die sich unausgepackt an den Wänden stapeln. Er nimmt ein Buch heraus und schleudert es an die Wand.
»Meinst du etwa, damit verdient man auch nur einen Cent?«
»Aber wieso dann das alles?«
»Die Menschen sind wie Kinder.« Hobbe ist jetzt wieder ganz dicht bei Moritz. Ihre Gesichter berühren sich beinahe, so nah steht Hobbe vor ihm. »Und was macht man mit Kindern, um sie vor ihrem Übermut und ihrem Leichtsinn zu beschützen? Man erzählt ihnen Geschichten. Wenn ihr in den dunklen Wald geht, frisst euch der böse Wolf. Geschichten, das ist doch dein Spezialgebiet, da brauche ich dir doch nichts zu erzählen, Moritz. Und siehst du, streng genommen, machen wir hier auch nichts anderes. Wir verbreiten Kindergeschichten. Geschichten, die die Menschen davor bewahren, Erfahrungen zu machen, die sie später bereuen würden. So wie mein Sohn.«
Hobbe macht eine Pause. Seine Wut ist verflogen. Er sieht müde aus, müde und traurig, unendlich traurig.
»Wir erzählen ihnen, dass es besser für sie ist, brav zu Hause zu bleiben, statt sich in der Welt herumzutreiben oder irgendwelche bewusstseinserweiternden Kräuter auszuprobieren. Das bin ich, das sind wir, du und ich, meinem Sohn schuldig, damit er nicht umsonst gestorben ist. Wenn es uns gelingt, mit den Geschichten auch nur ein einziges
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