Rosendorn
das Ding einzustechen, bis das Kreischen erstarb, die Kreatur auf den Boden fiel und sich nicht mehr rührte. Ich blinzelte, und plötzlich verlor das Wesen seine Form. Zurück blieb nicht mehr als ein Haufen von Stöcken und Stroh und ekelhafter schwarzer Schlamm.
Als plötzlich Totenstille herrschte, fühlte es sich beinahe so an, als wäre ich taub geworden – bis auf die Tatsache, dass ich mein stoßweises, panisches Atmen hören konnte. Mein Verstand versuchte zu verarbeiten, was gerade passiert war.
Im Moment beachtete Ethan mich nicht, sondern beugte sich herunter, um zu sehen, wie es Jason ging, während Kimber und ihr Freund sich den anderen beiden Jungen zuwandten. Jason hatte seine Augen vor Schmerz zugekniffen und hielt ein Taschentuch umklammert, das er auf sein blutiges Gesicht presste. Ethan hatte Jasons T-Shirt aufgerissen und tastete vorsichtig seine Rippen ab.
»Gebrochen«, hörte ich ihn murmeln, während Jason unter den leichten Berührungen zusammenzuckte. »Es wird zuerst schlimmer, bevor es besser wird«, warnte er ihn und legte beide Hände auf Jasons Brustkorb.
Ich bemerkte die Angst in Jasons Augen. Ich kannte ihn nicht, hätte nicht einmal seinen Namen gewusst, wenn der andere Junge ihn nicht gerufen hätte, doch vermutlich hatte die jahrelange Sorge um meine Mutter in mir eine Art Samariter-Instinkt geweckt. Ich kniete mich an Jasons andere Seite und nahm seine Hand. Dankbar drückte er meine Finger.
Ethan murmelte wieder etwas, und ich spürte, wie die Härchen an meinen Armen sich aufrichteten. Offensichtlich übte Ethan eine Art Magie aus, und obwohl das in Avalon nichts Ungewöhnliches war, fühlte es sich für mich noch immer seltsam an. Jason schrie laut auf und bog den Rücken durch, wobei er beinahe meine Hand zerquetschte.
Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann sackte er in sich zusammen und atmete erleichtert auf. Er schloss die Augen, und ich nahm an, dass er ohnmächtig geworden war.
»Was
waren
das für Dinger?«, fragte ich Ethan und begann, als verspätete Reaktion auf den Angriff zu zittern.
Ich konnte sehen, wie sich die Muskeln in seinem Kiefer anspannten, als er mit den Zähnen knirschte. »Spriggans«, sagte er und spuckte aus, als hätte das Wort einen bitteren Nachgeschmack.
Das war nicht gerade eine umfassend erklärende Antwort. »Was ist denn ein Spriggan?«
Er hockte sich auf die Fersen und schob sich die Haare aus dem Gesicht. »Wesen aus Faerie. Kreaturen, die Avalon eigentlich nicht betreten dürfen.«
»Wesen des Winterhofes«, fügte Jason hinzu, und ich bemerkte, dass er gar nicht ohnmächtig geworden war. Er warf Ethan einen seltsamen Blick zu.
Wir hatten schon festgestellt, dass ich kläglich wenig über die Abläufe in Avalon und Faerie wusste, aber wenigstens waren mir die Höfe der Licht- und der Dunkelfeen nicht total unbekannt. Faerie ist in zwei Höfe unterteilt, die sich manchmal im Streit befinden und manchmal im Waffenstillstand leben. Die Lichtfeen, die zum Sommerhof gehören, sind die »guten« Feen, obwohl der Ausdruck »gut« im Zusammenhang mit Feen mit Vorsicht zu genießen ist. Der Winterhof, dem die Dunkelfeen angehören, ist die Heimat aller bösen Kreaturen – der Kobolde und Monster und all der Geschöpfe, die bei Nacht ihr Unwesen treiben. Offensichtlich gehörten auch die Spriggans dazu.
Finster blickte Ethan Jason an. »Sie sind nicht mit mir verwandt, also hör auf, mich so anzuschauen.« Er half Jason dabei, sich aufzusetzen.
»Tut mir leid«, entgegnete dieser und mied Ethans Blick.
Der tätschelte ihm die Schulter. »Nichts passiert. Und ich kann es dir nicht verübeln – nach allem, was passiert ist. Es sind Wesen wie die Spriggans, die den Winterhof in Verruf bringen.«
Es dauerte einen Moment lang, bis ich begriff, worüber die beiden sprachen, doch als ich es dann verstanden hatte, wurden meine Augen so groß, dass ich sicherlich etwas seltsam aussah.
»Du gehörst zu den Dunkelfeen?« Es war eine Mischung aus einer Frage und einem entsetzten Aufkeuchen.
»Das tue ich«, bestätigte Ethan. »Wie ungefähr die Hälfte aller Feen, die in Avalon leben. Und nein, wir sind genauso wenig alle schlecht, wie die Menschen alle gut sind.«
Jason wirkte nicht vollkommen überzeugt. Andererseits litt er augenscheinlich noch immer unter Schmerzen. Stirnrunzelnd sah ich Ethan an und war mir nicht sicher, wie ich diese Information einordnen sollte. Es schien ihm nicht fremd gewesen zu sein, mit dem Messer
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