Rosendorn
fühlte.
»Kannst du mir so weit verzeihen, um mir zu erlauben, dich hier herauszubringen?«, fragte Ethan, und im ersten Moment glaubte ich, ich wäre versehentlich eingeschlafen.
Ich hob den Kopf, und da war er. Ungefähr drei Meter von mir entfernt saß er genauso an die Wand gelehnt wie ich. Er hielt eine Taschenlampe in der Hand und erinnerte kaum noch an den übermütigen, fröhlichen Feenjungen, als den ich ihn kennengelernt hatte. Seine Schultern hingen herunter, sein Kopf war gesenkt und der Ausdruck auf seinem Gesicht niedergeschlagen.
Offensichtlich war das ein Traum, eine dieser Wunschvorstellungen. Obwohl ich zugeben musste, dass es sich schrecklich echt anfühlte. »Das
muss
ein Traum sein«, murmelte ich. »Du hättest mich doch unmöglich finden können.«
»Nicht, wenn ich dich zu Beginn verloren hätte«, erwiderte er, fingerte an der Taschenlampe herum und drehte sie in seinen Händen. »Ich kann schnell rennen, und du hast eine Lampe dabei; so konnte ich dich einholen, bevor du dich zu weit entfernt hast. Ich habe mir gedacht, dass du Zeit brauchen würdest, um dich zu beruhigen, also habe ich mich im Hintergrund gehalten. Bis jetzt.«
Du meinst, du hast dich im Hintergrund gehalten, bis du sicher sein konntest, dass ich allein nie wieder herausfinden würde, dachte ich, behielt die Worte jedoch für mich. Ich entschied, dass es doch kein Traum war, aber ich hatte im Augenblick überhaupt keine Lust, mit Ethan zu sprechen, also sah ich ihn nur kalt an.
Der kühle Blick wäre wahrscheinlich noch wirkungsvoller gewesen, wenn Ethan mich auch angeschaut hätte, doch er schien noch immer von der Taschenlampe gefesselt zu sein.
»Der Zauberspruch hat dir nicht deinen freien Willen genommen, Dana«, sagte er zu der Taschenlampe. »Wenn es so gewesen wäre, hättest du dich nicht daraus befreien können. Es war nur ein schlichter Beruhigungszauber. Er hat dich nicht dazu gebracht, etwas zu tun, mit dem du nicht schon einverstanden gewesen wärst.«
»Okay«, entgegnete ich und vergaß meinen Plan, nicht mehr mit ihm zu reden. »Dann hat der Spruch also nicht wie K. o.-Tropfen gewirkt, sondern dein Date praktisch nur betrunken gemacht – in der Hoffnung, dass du zum Zuge kommst.«
Sein Kopf schoss hoch, und zum ersten Mal sah er mich an. »So ist es auch nicht!«, stieß er hitzig hervor. Das schien ihm unangenehm zu sein, und er wandte den Blick wieder ab. Seine Stimme wurde weicher. »Ich dachte nur, dass es dir mehr Spaß machen würde, wenn du nicht so nervös wärst. Ich habe eingesehen, dass es ein blöder Fehler war. Aber ich habe es nicht böse gemeint, und ich hatte nicht vor, die Situation auszunutzen. Tut mir leid, dass ich so ein Idiot war.«
Ich atmete tief aus. Er sah so bedrückt aus, dass es mir schwerfiel, an seiner Aufrichtigkeit zu zweifeln. Doch ich war noch nicht einmal annähernd so weit, ihm zu vergeben. »Erinnerst du dich daran, dass du gesagt hast, ich würde dir vermutlich nie mehr vertrauen, falls du etwas versuchen solltest? Tja, was mich betrifft, hast du etwas versucht. Und ich vertraue dir nicht mehr.«
Er zuckte tatsächlich zusammen, und ich fühlte mich deswegen fast schlecht. Aber nur fast.
»Verstanden«, sagte er. »Allerdings nehme ich an, dass du meine Hilfe, dich hier herauszubringen, trotzdem annimmst?«
»Um wohin zu gehen?«
»Wohin auch immer du willst.«
Ich dachte eine Weile darüber nach. Ich wollte ganz sicher nicht zurück in den furchtbaren kleinen Raum im Tunnelsystem, doch ich wollte auch nicht wieder Tante Grace am Hals haben. Zumindest nicht, solange ich meine Möglichkeiten nicht gründlich überdacht hatte. Ich hatte weder Geld noch Pass, also brauchte ich noch immer Hilfe, auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt lieber von niemandem abhängig gewesen wäre. Ethan hatte mich soeben eindringlich daran erinnert, dass die einzige Person, auf die ich mich hundertprozentig verlassen konnte, ich selbst war.
»Kannst du mich unter falschem Namen in einem Hotel unterbringen?«, fragte ich. Es sollte keine langfristige Lösung sein – ich hoffte
wirklich,
dass ich am nächsten Tag zu meinem Dad konnte –, aber es war besser, als sich im Untergrund zu verstecken oder auf Kimbers Sofa zu schlafen und sich ständig zu fragen, wann Tante Grace zu einem Überraschungsbesuch auftauchen würde.
Ethan war anzusehen, dass ihm mein Vorschlag überhaupt nicht gefiel, doch er antwortete mir trotzdem. »Du wärst an einem etwas weniger öffentlichen Ort
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