Rosengift - Die Arena-Thriller
Strafe, weil er die Mauer beschmiert hat!, dachte sie, um gleich darauf ein Stoßgebet zum Himmel zu schicken: Wenn irgendjemand merkt, dass ich gemeint bin, sterbe ich! Fieberhaft überlegte sie, wie viele Matildas es noch an der Schule gab. Sie erinnerte sich, den Namen auf einer der Listen für die letzte Projektwoche gelesen zu haben. Ansonsten fiel ihr niemand ein. Am liebsten wäre Matilda nach Hause geradelt und noch lieber hätte sie eine Farbspraydose genommen und Patricks Botschaft übersprüht.
»Gott, wie romantisch«, seufzte jetzt auch noch Nicole, die mit Anna an der Seite hinter Matilda hergelaufen war. Aber als sie Matildas Gesichtsausdruck bemerkte, fügte sie beschwichtigend hinzu: »Reg dich nicht auf über so ’nen Quatsch. Freu dich lieber – ich wünschte, mir würde mal jemand so nachlaufen! Und jetzt los, sonst kommen wir noch zu spät zu Mathe.«
Matilda war so wütend, dass sie gar nichts mehr sagte. Mit eisiger Miene betrat sie das Schulgebäude und ihr Klassenzimmer und setzte sich auf ihren Platz neben Mascha, die ihr freundlich zulächelte. Matilda lächelte schwach zurück. Einige Mitschüler kicherten. Über sie? Matilda kam nicht mehr dazu, es herauszufinden, da der Mathelehrer gleich hinter ihnen ins Klassenzimmer gekommen war.
Na warte, Patrick! Wenn ich dich nachher in der Pause erwische, dann kannst du was erleben!
Der Unterricht zog an Matilda vorbei, sie hatte Mühe, sich einigermaßen zu konzentrieren. Ihre Gedanken schweiften immer wieder ab. Ich hätte neulich, als wir am See spazieren waren, deutlicher aussprechen sollen, was Sache ist, überlegte sie . Ich war viel zu zaghaft, zu rücksichtsvoll, nicht eindeutig genug. Vermutlich denkt Patrick, dass ich mich ziere, dass ich Katz-und-Maus-Spielchen mit ihm spiele. Als ob ich der Typ für so was wäre. Kann es wirklich sein, dass er mich so falsch einschätzt? Es fiel ihr schwer, das zu glauben.
Nachdem die Mathestunde vorüber war, gab es zu Matildas Verwunderung keine hämischen Bemerkungen und niemand schenkte ihr besondere Beachtung. Alle verhielten sich ganz normal. Aber sie hatte sich die Schmiererei doch nicht nur eingebildet – Anna und Nicole hatten sie auch gesehen. War es möglich, dass außer den beiden niemand aus ihrer Klasse Patricks peinliches Liebesgeständnis bemerkt hatte? Oder konnte es sein, dass ihre Mitschüler dem Ganzen längst nicht so viel Bedeutung beimaßen, wie Matilda glaubte? Dieser Gedanke kam ihr während der zweiten Stunde – Englisch. Kam es nicht ständig vor, dass X liebt Y oder ähnlicher Kinderkram an irgendeiner Mauer stand? Und das waren noch die harmlosen Sachen. Die meisten Inschriften auf Mauern, Wänden und vor allen Dingen auf dem Schulklo bestanden aus anatomischen Skizzen von Geschlechtsteilen und Worten, die man sonst eher in den Raps von Bushido und Konsorten wiederfand. Dagegen waren I love Matilda und ein rotes Herz die reine Poesie. Und überhaupt – habe ich mir jemals Gedanken über Wandschmierereien oder Klosprüche gemacht? Habe ich jemals andere deswegen aufgezogen? Matilda atmete tief durch. Wahrscheinlich war das Ganze tatsächlich harmloser, als sie es zunächst empfunden hatte. Die Schüler der Unterstufe mochten so was witzig oder skandalös finden, aber sie, Matilda, würde in knapp zwei Jahren Abitur machen. In diesem Alter stand man über solchen Dingen. Wenn sich Patrick wie ein Fünftklässler benahm, dann war das ganz allein sein Problem, nicht ihres. Wahrscheinlich hatte Nicole recht, sie regte sich völlig umsonst auf. Nüchtern betrachtet waren diese gesprühten Botschaften doch nur eine lustige, vielleicht sogar romantische Geste, nichts weiter. Ein netter Versuch, der leider erfolglos bleiben würde. Ganz gewiss hatte Patrick sie damit nicht bloßstellen wollen. Er neigte eben ein bisschen zur Theatralik. Und musste lernen, dass er bei ihr keinen Erfolg haben würde, da konnte er sich noch so sehr anstrengen.
Als es zur ersten Pause klingelte, hatte sich Matilda nicht nur beruhigt, sondern auch einen Entschluss gefasst: nämlich den, sich nicht mehr über die Graffitis aufzuregen, sondern sie einfach zu ignorieren, so wie sie die Rose auf dem Fahrrad neulich ebenfalls nicht angesprochen hatte. Irgendwann würde Patrick schon begreifen, dass solche Albernheiten bei ihr nicht zogen. Dies teilte sie Anna und Nicole nach der Stunde mit.
Die beiden waren geteilter Ansicht: Anna bekräftigte Matildas Entschluss, Nicole dagegen meinte, Matilda
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