Rosengift - Die Arena-Thriller
waren auch Patricks Hände überall. Matilda war sich nicht sicher, was sie davon halten sollte. Aber sie kam gar nicht mehr dazu, darüber nachzudenken, denn auf einmal war ihr furchtbar schlecht. Sie sprang auf und rannte zum Klo, das sie gerade noch rechtzeitig erreichte, ehe sie die Mischung aus Torte und Cocktails, die sie an dem Abend zu sich genommen hatte, in einem Schwall wieder von sich gab. Erschöpft lehnte sie sich gegen die Wand. Jemand klopfte an die Tür.
»Besetzt!«
Aber die Tür öffnete sich trotzdem. Es war nicht Patrick, wie Matilda befürchtet hatte, sondern Anna. Matilda wollte etwas sagen, aber ein neuer Brechreiz überkam sie. Während Matilda über der Kloschüssel hing, hielt Anna ihr die Haare im Nacken zusammen und sagte dabei in mütterlichem Ton. »Ja, kotz dich ruhig aus. Gut, wenn du jetzt gleich reiherst, dann geht es dir morgen wieder gut.« Sie reichte Matilda einen feuchten Waschlappen, mit dem diese sich den Mund abwischte, als es vorbei war.
»Mir geht’s schon besser, ehrlich.« Matilda ließ sich auf den Boden sinken und lehnte den Kopf gegen die kühlen Kacheln der Badewanne.
»Jaja, schon klar«, grinste Anna. »Ich bring dich jetzt ins Bett. Los, ab nach oben.«
Ein Bett, oh ja, dachte Matilda, während Anna sie die Treppe hinaufbugsierte. Sie hatte das Gefühl, sich noch nie so sehr nach ihrem Bett gesehnt zu haben wie jetzt. Mit zittrigen Händen putzte sie sich rasch noch die Zähne und ließ sich dann von Anna in ihr Zimmer führen. Flüchtig nahm sie wahr, dass Patrick auftauchte und seine Hilfe anbot, aber Anna winkte ab. »Ich hab alles im Griff, wir kommen schon klar.« Dann hörte Matilda Nicole, die kichernd fragte: »Kotzen bei dir die Frauen immer, nachdem sie mit dir geknutscht haben? Wenn ja, dann solltest du mal was gegen deinen Mundgeruch tun.«
»Sehr witzig«, kam es scharf von Patrick, dann schloss sich die Tür und Matilda sank, ohne sich auszuziehen, auf ihr Bett. Es schaukelte wie ein Kahn bei Windstärke neun. Anna streifte ihr die Schuhe ab, deckte sie zu und stopfte zwei Kissen unter ihren Kopf. Prompt ließ das Schaukeln ein wenig nach, und als Matilda auf Annas Rat hin probehalber einen Fuß auf den Boden stellte, quasi als Anker, stand das Bett sogar ziemlich ruhig. »Danke, Anna. Du bist meine allerbeste Freundin.«
»Keine Ursache. Ist ein Tipp von meinem Bruder. Soll ich heute Nacht lieber hier schlafen, auf dem Sofa?«
»Nein, musst du nicht. Ich bin okay«, wehrte Matilda mit schwacher Stimme ab. Sie wollte jetzt nur noch ihre Ruhe haben. Schlafen, dachte sie. Nur noch schlafen.
»Okay, wie du meinst. Der Eimer steht neben dem Bett – für alle Fälle«, sagte Anna und deutete auf den roten Putzeimer, den sie in der Abstellkammer gefunden hatte. »Dann mal gute Nacht.« Sie löschte das Licht und ging.
Zwei Sekunden später war Matilda schon eingeschlafen.
2
Matilda wurde wach. Es war dunkel, nur das Licht der Straßenlaterne warf ein mattes Viereck auf den Fußboden. Wo bin ich? Das ist nicht mein Zimmer! Den Schock des völlig orientierungslosen Erwachens hatte Matilda in der ersten Zeit nach dem Tod ihrer Eltern und dem Umzug hierher oft erlebt. Als hätte ihr Hirn im Schlaf alles vergessen. In den zähen Sekunden nach dem Wachwerden war die Realität dann jedes Mal mit neuer Wucht auf sie eingestürzt: Nein, das ist nicht das Zimmer in deinem Elternhaus, deine Eltern sind tot, das ist dein Zimmer im Haus von Tante Helen . Dieses Mal kamen noch zwei weitere Fragen hinzu: Warum ist es so dunkel? Warum ist mir so schlecht?
Die erste Frage klärte sich nach einem Blick auf die Digitalanzeige ihres Radioweckers: 4:10. Dem Grund der Übelkeit auf die Spur zu kommen, dauerte ein wenig länger, doch ehe sich Matilda darüber weitere Gedanken machen konnte, hatte sie schon den Putzeimer ergriffen – was immer der neben ihrem Bett zu suchen hatte, er kam ihr im Moment äußerst gelegen. Langsam sickerten die Bilder des vergangenen Abends wieder in ihr Gedächtnis. Die Party, die Leute, die Drinks, die Musik… danach verschwamm die Erinnerung. Sie sah sich tanzen. Völliger Schwachsinn! Ich tanze nie vor anderen Leuten.
Erschöpft sank sie auf dem Bett in sich zusammen. Die Übelkeit hatte ein wenig nachgelassen, aber sie fühlte sich noch immer schwach und zitterig. Nach einigen Minuten gewann jedoch ihr Ordnungssinn die Oberhand und sie stand auf, trug den Eimer ins Bad, leerte den Inhalt in die Toilette und spülte ihn aus.
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